Duisburg. .

Ein Kinderlächeln kann manchmal täuschen. Die Jungen und Mädchen auf dem gepflasterten Hof im Stadtteil Bergheim lächeln weg, was hier passiert. Sie rennen umher, spielen Fußball in der Abendsonne, kreischen. Den jüngsten Bewohnern des Wohnkomplexes sind die Geschehnisse der vergangenen Tage nicht anzusehen.

Es ist erst eine Woche her, als sich die Situation in der Straße „In den Peschen“ zuspitzte. Im Internet riefen Nutzer über Facebook zu Angriffen auf die ausländischen Bewohner auf; Unbekannte beschmierten die Fassade mit fremdenfeindlichen Sprüchen. Schon lange sorgt der Wohnkomplex bei einigen Bürgern für Unbehagen. Sie fühlen sich belästigt von Lärm und Müll, fühlen sich unsicher.

Annegret Keller-Steegmann möchte mal die zu Wort kommen lassen, über die immer gesprochen werde. „Es ist ein Unterschied, ob Deutsche über die Bewohner erzählen oder sie selber“, sagt die 60-Jährige – sie setzt sich seit Jahresbeginn für die Roma in der Stadt ein. Jetzt organisiert die Lehrerin auch Nachtwachen, um den Hausbewohnern nach der Hetze wieder etwas Ruhe zu verschaffen, Schlaf zu ermöglichen. In gut drei Stunden ist es wieder soweit.

21-Jähriger zeigteden Hitlergruß

Am frühen Abend aber schreitet sie noch voran in dieses Hochhaus, von dem niemand so genau weiß, ob darin 200 oder 2000 Menschen leben. Der Eingang ist düster. Aus dem Klingelkasten fleddern Kabelreste. Ein paar Treppenstufen höher haben sich Vasile L., Dorel M. und Bebe C. (Namen geändert) in einem Wohnzimmer versammelt. Die Familienväter, alle um die 30, sitzen auf einem Sofa. An der Wand hängen Bilder, Blumen. Eine Pflanze rankt sich über die Eingangstür.

Anders als ihre Kinder machen die Männer ernste Mienen. Sie können nicht vergessen, was hier passiert: die Autofahrer mit Hitlergruß; die Gestalten, die angeblich mit Messern bewaffnet an der Straße auftauchen. „Vor drei Tagen sind Männer ins Treppenhaus gerannt, haben geschrien und uns gedroht“, sagt Vasile L. Das sei um halb sieben abends gewesen. „Wir haben nicht gedacht, dass es so was mitten am Tag gibt.“ Die Polizei hat zuletzt am Wochenende eine Straftat an der Straße „In den Peschen“ ermittelt: Ein 21-Jähriger zeigte den Hitlergruß, muss sich nun wegen Volksverhetzung verantworten.

„Wir haben Angst um unsere Kinder“, sagt einer der Männer. Seine Söhne und Töchter hätten nur noch angezogen geschlafen, um schnell flüchten zu können. „Wir trauen uns nicht mehr, sie nach den Ferien in die Schule zu lassen“, stimmen die drei überein. Keller-Steegmann bestätigt, dass einige Jungen und Mädchen aus dem Wohnkomplex zur Schule gehen.

Die Familienväter erzählen von ihrer „harten Zeit“ in Rumänien, „in der wir von 200 Euro im Monat leben mussten“: Mann, Frau – und acht Kinder. „Wir wollen, dass sie es mal besser haben.“ Doch viele Bewohner in dem Block sind arbeitslos. Ohne Deutschkenntnisse finden sie keinen Job, und deshalb verbringen sie den ganzen Tag vor dem Haus. Manche arbeiten als Monteure, andere als Schrotthändler – oftmals an der Grenze, manchmal jenseits der Legalität.

So, sagen sie, rutschen sie in eine Situation, in der die Familien sich mit einem „Roma-Status“ abgestempelt fühlen. Vor einigen Jahren sei ihr Bild in der Öffentlichkeit noch nicht so schlecht gewesen – „früher, als noch verhältnismäßig wenig Roma nach Deutschland kamen. Jetzt werden wir alle in den gleichen Topf geschmissen“, beklagt Dorel M. Er spricht von dem Bild des kriminellen Ausländers, der „Klau-Kids“ und Taschendiebe.

Dass es auch Probleme mit Roma-Familien gebe, bestreiten die Männer nicht. „Aber das ist bei anderen Nationalitäten nicht anders.“ Die „Kriminalität Einzelner“ falle in Duisburg gleich auf „das ganze Haus zurück“, meinen die Väter. Keller-Steegmann nickt. Sie hält einen Säugling auf dem Arm, das Vertrauen ist spürbar. Die Familien sind ihr für ihren Einsatz dankbar. „Das ist großartig, dass sie das mit der Nachtwache organisiert hat“, sagen die Männer – und lächeln.

Mit dem Sonnenuntergang ist der Vorplatz wie leer gefegt. Hier und da winkt ein Kind vom Balkon. Die Zeit der Nachtwache kommt. Um die 35 Personen haben sich auch heute wieder rund um den Wohnkomplex versammelt, die meisten sind um die 30 und jünger. Auf ihren Kontrollgängen notieren sie Auffälligkeiten. Es wird eine lange Nacht. Teilnehmer platzieren Stühle und tragen Wasserkästen durch die Gegend.

Die Nachtwächter nehmen das für die Bewohner auf sich. Damit sie „bald wieder regelmäßig lächeln können“.