Ruhrgebiet.. Allerdings mittlerweile für andere Zwecke: Terror, Überschwemmungen, Giftalarm, Stürme. Das Warnsystem, das im Zweiten Weltkrieg vor Bombenangriffen schützen sollte, ist erneuert worden und wird nun in vielen Ruhrgebietsstädten wieder installiert. Nur Mülheim zieht nicht am gleichen Strang.

Mit der albernen Gipfelhöhe von gerade 16 Metern kann man als neues Gerät auf der Cranger Kirmes natürlich nicht auffallen. Dafür wäre es bestimmt das lauteste gewesen, wäre es nur angegangen: Denn zwischen Bayernzelt und Achterbahn steht seit diesem Juli eine Sirene. Aber sie schweigt, gottlob.

Sie steht da aber auch nur „für den schlimmsten Fall“, sagt Christoph Hüsken, Sprecher der Stadt Herne: „Wenn die Kirmes abgebrochen werden müsste, zum Beispiel, weil ein Orkan aufzieht.“ Das Szenario: Die Sirene geht an, der Rummel erstirbt, und eine Durchsage in besonders beruhigendem Tonfall fordert die Leute auf, tunlichst nach Hause zu gehen...

Zum Heulen!

Doch einzigartig an dem Gerät ist nur sein vergnügungssüchtiger Standort: Denn insgesamt kehren die Warnsirenen zurück ins Ruhrgebiet. Duisburg, Essen, Herne . . . Weil sie eine einfache, unüberhörbare Botschaft haben: Es ist was passiert. Es geht uns alle an. Informier’ dich, was zu tun ist! Giftwolke? Dammbruch? Terroranschlag?

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Ein echter Wiedergänger unter den Alarmsystemen ist das: Geboren ist das System im Weltkrieg, behalten wurde es im Kalten Krieg als Warnung vor dem Russen („Nicht-ziviler Zivilschutz“ mit offiziellem Namen). Der kommt nun nicht mehr, also, der Russe; schon 1993 trennte sich der Staat aus zukunftsfrohen Gründen von seinen rund 87.000 Sirenen und schenkte sie einfach den Städten. Hier, nimm!

Wie sich zeigte, war das Geschenk recht teuer im Unterhalt – und vor allem die großen Revierstädte, ewig klamm, bauten die Sirenen Mitte der 90er-Jahre ab. In den ländlichen Ausfransungen der Region blieben sie dagegen eher erhalten, schon aus praktischen Gründen: Um die Freiwilligen zu alarmieren, wenn’s brennt. In Kreisen wie Ennepe-Ruhr oder Wesel heult es durchaus regelmäßig.

Bis heute gibt es keine Alternative zu den Sirenen

In den Städten aber fehlen die Töne. „Bis heute wurde keine neue Technik entwickelt, die denselben Weck-Effekt auf die Bevölkerung hat“, sagt Jochen Stein, der Vorsitzende der „Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren“: „Unabhängig von Sprache und Ort, von Wachen oder Schlafen.“ Nur Komapatienten und Extrem-Eremiten kriegten weiter nichts mit.

So hat sich der Wind dermaßen gedreht, dass etwa Duisburg im Herbst 70 neue Sirenen flächendeckend in Betrieb nehmen wird. Essen plant mit Ende 2014, auch Bottrop, Herne und Oberhausen umkreisen den Gedanken, von dem sich einzig Mülheim schon wieder verabschiedet hat: „Wir hätten gern ein flächendeckendes System, aber es lässt sich einfach nicht finanzieren“, sagt ein Sprecher. Experten nennen Baukosten von 5- bis 10 000 Euro pro Gerät und jährlichen Unterhaltskosten von mehreren hundert Euro, ebenfalls jeweils. Die anderen Städte dagegen sind überzeugt vom Weck-Effekt bei allen.

Zwar berichtet jedes Medium über Gefahren – aber woher sollen die Leute überhaupt wissen, dass eine droht? „Irgendwie müssen wir ihnen sagen, mach’ das Radio an, schau’ in den Videotext, ruf’ die Feuerwehr an“, sagt Mike Filzen, Sprecher der Feuerwehr Essen. Dazu dient der Heulton. Hinzu kommt, dass moderne Technik eher ausfällt im Großschadensfall: Warnungen im Internet hätten viele Menschen in den Hochwassergebieten des letzten Sommers nicht erreicht; und im Schneechaos im Münsterland fiel mit den Masten auch gleich der ganze Strom aus. Rauchmelder, Smartphones: Sie alle könnten zur Warnung eingesetzt werden, doch nichts davon erreicht jedermann. Und die Idee, dass alle Autohupen anspringen? Dürfte ein paar Nebenbeischäden verursachen.

Warnung vor der Warnung

Freilich müssen die Menschen vorbereitet werden auf die Wiederkehr der Sirene: Ganz alten fährt da noch der Schrecken des Krieges in die Glieder, mittelalte haben die Heultöne als Jugenderinnerung abgespeichert. Und so wird die Stadt Duisburg, bevor sie im Herbst das System aufschaltet – Handzettel zur Warnung der Bevölkerung verteilen. Vor den Sirenentönen, versteht sich.