Essen. . Nach anderthalb Jahren Dialogprozess hat die katholische Kirche an Rhein und Ruhr ein neues Zukunftsbild. Darin wird statt des Gegeneinanders von Geistlichen und Laien die gemeinsame Verantwortung aller Getauften für die Kirche beschworen. Konkret sollen die Laien mehr Verantwortung übernehmen. Doch werden die sich darauf einlassen? Eine Analyse von Thomas Rünker

Anderthalb Jahre wurde diskutiert, gestritten und gebetet; „Zukunft auf katholisch“ heißt der aufwändige Dialogprozess im Bistum Essen – und als erstes Zwischenergebnis steht nun ein „Zukunftsbild“, das die Bistumsleitung am Samstag in Essen präsentierte. Es soll den Gemeinden vor Ort, aber auch der Bistumsleitung Leitlinien für ihre künftige Arbeit an die Hand geben.

In diesem Bild beschreibt sich das Bistum, das seit seiner Gründung vor 55 Jahren mehr als ein Drittel der Mitglieder verloren hat, seit 2005 rund 100 Kirchen aufgab und 2030 nur noch 56 Priester unter 60 Jahren haben wird, in sieben Eigenschaften: Berührt, wach, vielfältig, lernend, gesendet, wirksam und nah will die Kirche von Essen sein.

Katholiken müssten die Lebenswirklichkeit der Menschen in den Blick nehmen, offen für Vielfalt sein, diakonisch handeln und nah bei den Menschen sein. „Es geht mir dabei um eine Nähe zu Menschen, die weniger auf Gebäuden beruht, sondern vor allem auf menschlichen Beziehungen“, konkretisierte Bischof Franz-Josef Overbeck.

Lässt man sich auf die Texte ein, die sich aus einer Art CD-Hülle bis auf mittlere Plakatgröße entfalten und ausgehend von den sieben Eigenschaften über passende Bibelstellen viele Detailvorhaben formulieren, formt sich unter dem Strich die Vision einer neuen Kirche. Jedenfalls einer Kirche, die mit der an Rhein und Ruhr immer noch sehr präsenten, wohnortnahen Versorgung mit hauptamtlicher Seelsorge nicht mehr viel zu tun hat.

Statt des seit ehedem praktizierten Gegenübers von Priestern (die letztlich entscheiden) und Laien (die vor allem konsumieren) soll nun „das gemeinsame Priestertum aller Getauften“ neu entdeckt werden, „um eine Mentalität der Verantwortlichkeit für den Glauben und für das kirchliche Leben zu ermöglichen“, heißt es in dem Papier. Alle Katholiken sollen sich für die Gemeindearbeit verantwortlich fühlen – und dies nicht nur auf Kirchen-Angestellte abwälzen. Konkret sollen Laien etwa noch stärker als bislang Wortgottesdienste und Beerdigungsfeiern leiten.

Da mögen in der Theorie noch viele Gläubige zustimmen, klingt dies doch nach eine Wertschätzung der Laien, wie sie viele seit Langem fordern. Doch in der Praxis muss sich zeigen, wie viele Laien zu einem Mehr an ehrenamtlichem Engagement bereit sind. Und der Bischof muss seine Priester dazu bringen, dieses auch zuzulassen. Zudem wird Overbeck nun wohl noch häufiger als bislang gefragt werden, warum die Leitung einer Gemeinde nach wie vor grundsätzlich ein Geistlicher innehaben muss.

Die Diskussionen der rund 10 000 Katholiken, die in das Papier eingeflossen sind, haben sich gelohnt, nicht nur wegen der nach dem bundesweiten Missbrauchsskandal und den Bistums-Umstrukturierungen neu geschaffenen Gesprächskultur, sondern auch wegen der Ergebnisse. Nun haben es die Katholiken vor Ort in der Hand, das Beste draus zu machen.