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Die Spur war unsichtbar. Nichts zu fühlen, nichts zu schmecken, nichts zu riechen – nur messen kann man sowas heutzutage: Sieben Milliardstel Gramm sind es letztlich, die die Behörden zu 45 000 Tonnen verseuchtem Futtermais führen. Ein Hoch der Untersuchungstechnik!

Denn bei einer Routinekontrolle auf einem Bauernhof bei Leer messen sie im Kilogramm Milch 57 Nanogramm Aflatoxin B1, ein natürliches Schimmelpilzgift – doch nur 50 Nanogramm sind erlaubt. Von diesem ultraleichten Packende geht es zurück zum Futtermittellieferanten des Hofes und dann zu dessen Lieferanten.

Und so stoßen sie schließlich auf einen Hamburger Importeur und auf diesen Futtermais aus Serbien, bei dem der Grenzwert für Aflatoxin B1 um gut das Zehnfache überschritten ist: 0,204 Milligramm pro Kilo Futtermittel statt 0,02. 10 000 Tonnen davon liegen in Hallen des Hafens Brake an der Unterweser und weitere 25 000 Tonnen in Lagern in Bremen.

Und 10 000 Tonnen sind weg. Verkauft, verbracht, vermischt, verfüttert.

Auf über 900 Höfen wird jetzt die Milch durchleuchtet

Auf über 3500 Bauernhöfen vor allem in Ostfriesland, auf jeweils einigen wenigen im sonstigen Norddeutschland, in Ostdeutschland, in Nordrhein-Westfalen und Holland. Niedersachsens Landwirtschaftsministerium alarmiert die anderen Bundesländer, dann taucht das Thema auf seiner Internet-Seite auf: „Futtermittelkontamination mit Aflatoxin B1 festgestellt“ steht da zwischen den durchaus geistesverwandten Themen „Konsequenzen aus dem Legehennen-Betrug“ und „Rückrufe im Pferdefleisch-Geschehen“.

Jedenfalls: Auf 938 Milchhöfen wird seit Freitag untersucht, beprobt, Milch nicht mehr verkauft. Denn Milch vor allem ist das Problem, Rohmilch, also so, wie sie aus der Kuh kommt. „Fleisch und Eier sind unbedenklich“, sagt Udo Paschedag, der Staatssekretär für Landwirtschaft in Hannover. Die Tiere bauten den Stoff rasch ab. Nur in Rohmilch reichere er sich an, könne die Überschreitung der Grenzwerte bedenklich sein; in der bearbeiteten Trinkmilch aus dem Laden aber seien die Werte wieder niedrig. Sein Ministerium und das nordrhein-westfälische erläutern das so: Aflatoxine halten Hitze aus, die Pasteurisierung erreicht sie nicht. Deshalb sei die Minimierung das wichtigste Ziel. Und genau die trete ein während der Verarbeitung durch die Molkereien, in denen die Milch vieler verschiedener Höfe durchmischt wird – einzelne zu hohe Werte gehen dann buchstäblich unter.

Keine Gefahr, nirgends? Zumindest hat die Landwirtschaft seit Freitag wieder eine sehr grundsätzliche Diskussion am Hals – die Milch ist sozusagen verschüttet. „Der Grund für solche Vorfälle ist das weitere Anwachsen der Intensiv-Tierhaltung“, sagt Kathrin Birkel, die Agrarexpertin beim Bund für Umwelt- und Naturschutz. „Früher musste ein Teil der Futtermittel vom Landwirt selbst kommen, das wurde dann abgeschafft.“ Der Hunger der vielen Tiere sei mit einheimischen Futtermitteln nicht mehr zu stillen, daher die wachsenden Importe. Und Bernhard Burdick von der Verbraucherzentrale NRW meint: „Es erschreckt, dass es auch da üblich ist, Futtermittel auf internationalen Märkten zu kaufen.“

Nun bekommen die Tiere anderes Futter, natürlich. Doch sie können nach der letzten Portion von verseuchtem Mais noch länger belastete Milch produzieren, bis zu einer Woche danach noch. Also längstens bis Donnerstag.

Man darf mal getrost unterstellen: Bis dahin haben wir längst einen neuen Lebensmittelskandal.