Dortmund. In NRW müssen Kinder und Jugendliche monatelang auf einen Platz für eine Psychotherapie warten. „Eine Katastrophe“, sagen Insider. Monika Konitzer, Präsidentin der Psychotherapeuten-Kammer NRW, findet, dass eine Wartezeit von mehr als drei Wochen für ein Erstgespräch unzumutbar ist.
Reicht der Anteil von 20 Prozent der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten aus, um eine optimale Versorgung der Kinder und Jugendlichen zu gewährleisten?
Monika Konitzer: Zur Zeit steht in Westfalen-Lippe der vorgeschriebene Anteil von 20 Prozent Psychotherapeuten für Kinder und Jugendliche gar nicht zur Verfügung, denn die Kassenärztliche Vereinigung hat auch Psychotherapeuten mitgezählt, die Erwachsene behandeln. Die Umsetzung der Quote soll nun zum 1.1.2013 erfolgen. Dies kann die Versorgungslage für Kinder und Jugendliche in manchen Regionen spürbar verbessern.
Solange allerdings im Ruhrgebiet und in den ländlichen Gebieten insgesamt deutlich zu wenig Psychotherapeuten zugelassen werden können, wird ein Anteil von 20 Prozent für Kinder und Jugendliche dort nicht ausreichend sein, um den Bedarf zu decken.
Wie lang sind die Wartezeiten für betroffene Eltern? Halten Sie das für zumutbar?
Konitzer: Die Wartezeit für ein Erstgespräch liegt in Westfalen-Lippe durchschnittlich bei 15,9 Wochen, wobei es regional große Unterschied gibt: Die Spanne reicht von durchschnittlich 6 bis 7 Wochen in Bielefeld über 27 Wochen in Gelsenkirchen bis zu mehr als 33 Wochen im Kreis Olpe. Die Bundespsychotherapeutenkammer hält grundsätzlich eine Wartezeit von mehr als drei Wochen für ein Erstgespräch nicht mehr für zumutbar. Wartezeiten für Kinder und Jugendliche von mit psychischen Erkrankungen von mehreren Monaten sind ein Skandal.
Was sind die Folgen von langen Wartezeiten?
Konitzer: Solche langen Wartezeiten führen dazu, dass eine Behandlung gar nicht mehr in Anspruch genommen werden kann, wenn die Belastungen sich zugespitzt haben. Oft kommt es dann ersatzweise zu eigentlich unnötigen stationären Behandlungen in der Kinder- und Jugendlichenpsychiatrie. Psychische Probleme und Erkrankungen wirken sich bei Kindern und Jugendlichen in der Regel behindernd auf die allgemeine soziale Entwicklung, das Lernen und die Ausbildung aus, bei Kindern und Jugendlichen entstehen z.B. zusätzliche Probleme in der Schule bzw. im Hinblick auf die Ausbildung. Wenn psychische Erkrankungen im Kindesalter unbehandelt blieben, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten psychischer Erkrankungen im Erwachsenenalter um ein Vielfaches.
Wie bewerten Sie es, dass es bei der Versorgung zu so großen regionalen Unterschieden in der Zahl kassenzugelassener Psychotherapeuten kommt?
Konitzer: Im Ruhrgebiet und in ländlichen Regionen ist die psychotherapeutische Versorgung ohne sachliche Begründung deutlich schlechter als in Kernstädten. Das erklärt sich durch die unterschiedliche Anzahl der Psychotherapeuten, die in diesen Kreisen die psychotherapeutische Versorgung gewährleisten sollen. Dies sind in Bielefeld 54,8 Psychotherapeuten für 100.000 Einwohner, in Olpe hingegen 16,4 und in Gelsenkirchen 17,9. Die Festlegung dieser Verhältniszahlen erfolgte 1999 mit dem Psychotherapeutengesetz willkürlich und ohne Bezug zu einem irgendwie berechneten oder begründeten realen Versorgungsbedarf. Vielmehr wurde der vorgesetzliche Zustand einfach fortgeschrieben. Dies ist eine Benachteiligung psychisch kranker Menschen im Vergleich zu körperlich erkrankten Menschen, die in keiner Weise zu rechtfertigen ist.
Was fordern Sie?
Konitzer: Die Bedarfszahlen, also das Verhältnis von Psychotherapeutenzahl zu Einwohnerzahl, müssen anhand sachgerechter Kriterien neu berechnet werden. Die Ungleichbehandlung psychisch kranker Menschen in ländlichen Regionen und im Ruhrgebiet muss korrigiert werden. Psychotherapeutische Behandlung muss insbesondere für Kinder und Jugendliche, aber auch für ältere Menschen, ortsnah und in angemessener Zeit verfügbar sein.