Gelnhausen/Hessen. . Knapp eine Woche nach dem Fund eines Tierkadavers im Westerwald liefert die Untersuchung der Tier-DNA überraschende Antworten. Experten sind sich einig in der Einschätzung, dass über Kurz oder Lang auch in NRW sich wieder Wölfe ansiedeln. Die Tiere könnten sogar aus dem Alpenraum zu uns kommen. Naturschützer sind begeistert.

Die Zeit saß Verena Harms im Nacken. Möglichst schnell sollte die 31-jährige Biologin im Senckenberg Forschungsinstitut im hessischen Gelnhausen für Klarheit sorgen in einer Frage, die "politisch brisant" ist: Ist der Westerwald nach über 120 Jahren wieder Lebensraum für Wölfe? Und was heißt das für Landwirte, Schafzüchter oder die Jägerschaft?

Auch Naturschützer, wie Markus Bathen, Wolfsexperte beim Nabu, erwarteten mit Spannung die Antwort aus dem Institut in Gelnhausen, dem "Nationalen Referenzzentrum für genetische Analysen bei Luchs und Wolf". Als im Februar ein Foto auftauchte, das ein hundeähnliches Tier mit dunklem Fell auf einem Feld nahe des Westerwald-Ortes Steimel zeigte, schaute sich Bathen zusammen mit anderen Wolfs-Kennern die Aufnahme besonders genau an. Ein Wolf im Westerwald? Das wäre eine tolle Sache.

Polizei, Staatsanwaltschaft, Ministerium - alle warteten auf die Antwort

Zwei Tage hat Verena Harms in ihrem Labor zugebracht, um am Freitag die Antwort geben zu können, auf die auch die rheinland-pfälzische Umweltministerin Ulrike Höfken wartete, aber sicher nicht gewartet hätte, wenn nicht dieser 71-jähriger Jäger aus dem Raum Köln am Freitag dem 20. April in der Abenddämmerung gegen 21 Uhr von einem Hochsitz aus den fatalen Schuss mit seiner Büchse abgegeben hätte. Er habe gedacht, er hätte auf einen Hund geschossen, "der mehrere Rehe hetzte", heißt es im Polizeibericht. "Da der 'Hund' nach dem Schuss davonlief ging der Schütze davon aus, das Tier verfehlt zu haben", schreibt die Polizei. Die Vernehmungen des Jägers waren zwei Tage, nachdem er sich am Montag nach dem Jagdausflug der Polizei offenbart hatte, beendet. Einzig eine Frage war noch offen: Hund oder Wolf.

Ein Wolf im Land? Das ist eine politisch brisante Frage 

Neben der Polizei ist diese Frage auch für die Staatsanwaltschaft Koblenz entscheidend. Ein Hund in freier Wildbahn, keinem Besitzer zuzuordnen und Wildtiere jagend - da darf ein Jäger schon mal sein Gewehr ansetzen, ohne juristische Konsequenzen fürchten zu müssen. Aber einen Wolf zu erlegen ist eine Straftat, denn Wölfe sind eine europaweit streng geschützte Art. Und dann wäre da noch der 71-jährige Jäger selbst. Würde er angeklagt, würde spätestens sein Verteidiger einige Fragen haben: Kann man einen Wolf so einfach auf freiem Feld erkennen und von einem Hund unterscheiden? Hätte der Jäger damit rechnen müssen, dass sich ein Wolf in dem Revier aufhält? Diese Fragen würden dann zu klären sein - wenn denn klar ist, ob es tatsächlich ein Wolf war.

Im rheinland-pfälzischen Umweltministerium hat man in der Woche "Druck gemacht", um eine rasche Antwort zu bekommen. Ein Wolf im Land? Das ist eine politisch brisante Frage. Wäre dem so müsste die Politik 'Maßnahmen ergreifen', so hatte man im Umweltministerium angekündigt. Ein "Wolfsmanagement" wäre nötig, wie es etwa in Sachsen oder Brandenburg eingerichtet wurde - weil es dort Wölfe gibt. Und weil man auch in Rheinland-Pfalz möchte, dass sich der Wolf "in unserer heimischen Fauna anzusiedelt". Wolfsmanagement heißt, mit Landwirten, Schafzüchtern, Naturschützern und Jägern diskutieren, wie man Wölfe künftig schützt, nicht jagt - und dafür werben, dass sie keine Bedrohung für Mensch und Nutztier sind.

Wölfe in NRW sind "nur eine Frage der Zeit"

Alleine in der Lausitz sind aktuell 15 Wolfs-Rudel bekannt; alleine dort leben den Schätzungen nach inzwischen 88 Wölfe. In der Lüneburger Heide sind Wolfsrudel ansässig, auch in Gebieten in Mecklenburg-Vorpommern. Zuletzt wurde 2010 sogar in NRW ein Wolf gesichtet. Und jetzt womöglich ganz in der Nähe der Landesgrenze von Rheinland-Pfalz? "Eine Arbeitsgruppe beschäftigt sich damit", sagt ein Sprecher im NRW-Umweltministerium. "Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Wölfe sich auch in NRW ansiedeln", sagt Nabu-Experte Markus Bathen. Sie sind gewohnt, über Hunderte von Kilometern zu wandern, um sich ein Revier zu suchen. Seit den 1990er Jahren breiten sie sich wieder aus in Deutschland. Zumeist handelt es sich dabei um Arten, die aus Ost-Europa stammen. Doch das Tier aus dem Westerwald hat eine andere Geschichte

Ein fingernagelkleines Stück Fell und Haut, dem Kadaver entnommen, lieferte Verena Harms die Antwort. In Alkohol eingelegt wurde es in einem Plastikbehälter mit Drehverschluss am Mittwoch angeliefert. Auf 'Nummer Sicher' wollte die 31-jährige Biologie-Doktorandin bei ihrer Analyse gehen. Weshalb sie die Probe zweimal replizierte, also mit einer Rasierklinge in feine Stücke schnitt, diese dann in einem speziellen Gefäß mit zwei Flüssigkeiten versetzte, damit sich die Zellwände auflösen. Dann waren verschiedene "Waschschritte" nötig, um die "reine DNA" zu gewinnen. Auch diese isolierte DNA vervielfältige Harms nochmal, um mit zwei weiteren Untersuchungsmethoden den wissenschaftlich Nachweis zu führen - Hund oder Wolf? Am Ende galt es, die gewonnenen Daten am Computer mit Daten von "Referenzwölfen" abzugleichen. Zwei Tage hat Harms gearbeitet, um die Antwort zu liefern. Sonst würde solch eine Untersuchung zehn Tage dauern. Die Arbeit hat sich gelohnt, findet man im Senckenberg-Institut. Weil Harms Analyse überraschende Antworten liefert.

Ein Wanderer fotografierte im Februar einen Wolf im Westerwald - die Beobachtung war eine Sensation. (Foto: Nabu/dapd)
Ein Wanderer fotografierte im Februar einen Wolf im Westerwald - die Beobachtung war eine Sensation. (Foto: Nabu/dapd)
Wie ein Stück Wolf-Fell eine überraschende Geschichte erzählt 

Das in Alkohol eingelegte Hautstück mit Fellrest - "es stammt tatsächlich von einem Wolf", sagt Verena Harms. Und die DNA-Analyse gibt noch mehr Antworten: Der Wolf, er ist den Forschern schon bekannt. Mindestens ein Jahr dürfte er schon in der Region unterwegs gewesen sein. "Er hat sich in der Region heimisch gefühlt". Woher er kommt? Auch darauf haben die Forscher Antworten gefunden - eine andere, als sie vermutet hätten.

"Wölfe in Deutschland kommen eigentlich alles aus dem Osten", erklärt Harms' Chef Dr. Robert Kraus. Der Westerwald-Wolf hat sich aber sehr wahrscheinlich nicht von einem Rudel in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg oder Polen in den Westen abgesetzt. Denn er gehört zur "italienischen Linie" europäischer Wolfsarten. Aus Italien könnte es ihn in den Westerwald verschlagen haben. Kraus: "Die Alpen sind für Wölfe kein Hindernis". Möglich sei aber auch, dass er aus "Süd-Ost Frankreich stammt", sagt Robert Kraus. Dann hätte er im Fall des Westerwalds den Rhein überqueren müssen. Was wohl auch nicht unmöglich ist. Auf jeden Fall wäre es wäre das erste Mal, dass ein Wolf in jüngerer Zeit aus Süd- oder Süd-West-Europa nach Deutschland eingewandert ist.

"Es gibt Jäger, die sich damit brüsten, einen Wolf schießen zu wollen"

Für Markus Bathen ist das ein positives Signal. "Die Erfahrungen Deutscher Wölfe haben gezeigt, dass sich einzelne Wölfe ihr Revier weit ab ihres Geburtsortes suchen und dort auf einen Partner warten." Bathen hofft jetzt darauf, dass auch die Justiz 'ihre Hausaufgaben macht' und den Jagdvorfall aus dem Westerwald "konsequent verfolgt". Er hofft, dass der Jäger, der den Wolf erlegte, nicht ohne Strafe davon kommt. Laut Bathen, selber Jäger, regen Wölfe in Jagdkreisen nicht unbedingt nur Wohlwollen aus: "Es gibt Jäger, die sich damit brüsten, einen Wolf schießen zu wollen."

Aus Bathens Sicht sollte man sich jedenfalls darüber freuen, wenn Wölfe sich in Deutschland wieder ausbreiten, zumal sie vor 300 Jahren in hiesigen Breiten ausgestorben waren. "Kein Landwirt muss heute wegen Wölfen um seine Existenz bangen", sagt Bathen. Und die Mär vom 'bösen Wolf', wie sie die Brüder Grimm in ihren Märchen in die Köpfe gepflanzt haben, sollte man schnell aus den Köpfen kriegen: Der Mensch jedenfalls, "gehört nicht zum Beuteschema des Wolfs", versichert Bathen: Sie brauchen Wasser, ernähren sich in der Regel von Rehen oder Wildschweinen und brauchen einen ruhigen Ort, um ihre Jungen aufzuziehen. In der Lausitz, Deutschlands größtem Wolfsrevier, gelinge das Zusammenleben seit zwölf Jahren, sagt Bathen: "Untersuchungen haben gezeigt, dass sich in jedem Bundesland in Deutschland Gebiete finden, in denen Wölfe heimisch werden könnten". In NRW wären das etwa die Eifel oder Teile des Sauer- und des Siegerlandes.