Essen. Sekten-Experten schlagen Alarm: Über eine Tarnorganisation verschickt Scientology derzeit Bücher an Schulen in NRW. Die Sorge ist groß, dass das Werk unbemerkt in den Schul-Bibliotheken landet. Doch das Schulministerium reagiert bisher nicht.

Das Buch kommt völlig harmlos daher. In seiner naiven Bildsprache erinnert es ein wenig an die Heftchen, die die Zeugen Jehovas an den Haustüren verteilen. Auf dem Cover schlängelt sich ein Weg durch grüne Wiesen, über allem erstrahlt eine leuchtende Sonne. „Der Weg zum Glücklichsein“ lautet der Titel. Das klingt unverfänglich und verheißungsvoll. Ebenso wie die 21 Regeln, die man auf dem Weg ins Glück befolgen soll, etwa: „Geben Sie Kindern Liebe und Hilfe“, „Morden Sie nicht“, „Schützen und verbessern Sie Ihre Umwelt“. Wer sollte dazu schon Nein sagen?

Gerade in dieser Beliebigkeit und scheinbaren Harmlosigkeit liegt jedoch die Gefahr dieses Buchs. Als Herausgeber tritt zwar die „Way To Happiness Foundation“ auf, eine Stiftung mit Sitz in den USA, doch nach Informationen der Sekten-Info NRW steckt Scientology dahinter. „Die Scientologen versuchen seit einigen Wochen, mit Hilfe dieser Tarnorganisation Kontakt zu Schulen zu bekommen“, warnt Sabine Riede, Geschäftsführerin der Sekten-Info. Das Buch sei bereits an mehrere weiterführende Schulen in NRW verschickt worden, wie eine Aussteigerin den Sekten-Experten berichtet hat.

„Gefahr groß, dass das Scientology-Buch in der Schul-Bibliothek landet“

Die Bücher würden mit einem Begleitschreiben versandt, in dem die Stiftung ihre Ziele darlege, so Riede. Die Schüler sollten wieder verstärkt an moralische Fragen herangeführt werden, erklärten die Absender darin. Auf der Homepage der „Way To Happiness Foundation“ können Pädagogen sogar Material herunterladen, um das Buch im Unterricht zu behandeln. Erfahrungsberichte von Lehrern und Bildungspolitikern aus den USA, Israel und Nigeria gaukeln die Erfolge der Schul-Lektüre vor. „Auch auf der Internetseite der Stiftung ist die Verbindung zu Scientology für Laien kaum zu erkennen“, sagt Riede. Nur der Name des Scientology-Gründers L. Ron Hubbard taucht als Autor des Werks mehrfach auf. „Aber auch damit können nicht unbedingt alle Pädagogen auf Anhieb etwas anfangen“, befürchtet die Sekten-Expertin.

Anfang Februar hat Sekten-Info NRW das Schulministerium deshalb dazu aufgefordert, die Schulen über die neue Tarn-Strategie der Scientologen zu informieren. Auch Marc Ratajczak, der Sektenbeauftragte der CDU-Landtagsfraktion, hat sich dem Appell angeschlossen. „Der Bezug zu Scientology ist für viele Lehrer nicht ersichtlich“, meint Ratajczak. „Daher ist die Gefahr groß, dass das Buch unbemerkt in der Schulbibliothek landet.“

Verband will Warn-Mail an die Schulen schicken

Beim Schulministerium reagiert man dagegen gelassen. „Ein solches Buch gehört nicht in die Schule“, erklärt Ministeriums-Sprecher Jörg Harm gegenüber DerWesten. Bisher gebe es jedoch noch keine Hinweise von Schulen, die das Buch erhalten hätten. „Wir verschicken keine allgemeine Warn-Mail an die Schulen, um die Sache nicht unnötig aufzuwerten“, sagt Harm. Beim Ministerium gehe man vielmehr davon aus, dass die Lehrer ausreichend für das Thema Scientology sensibilisiert seien.

Für Ratajczak ist das eine „völlig unverständliche Reaktion“. Das Schulministerium mache es sich sehr einfach, klagt der CDU-Politiker. Auch Andreas Merkendorf vom Philologenverband NRW ist verwundert: „Es wäre für das Ministerium kein großer Aufwand gewesen, die Schulen einfach zu informieren.“ Der Verband möchte nun seine Mitglieder selbst mit einer Rundmail vor „Der Weg zum Glücklichsein“ warnen.

Kontakt zu Scientologen unbedingt vermeiden

Dass Lehrer ihre Kompetenz im Umgang mit Scientology gelegentlich überschätzen, erlebt Sekten-Expertin Riede immer wieder: „Manche Pädagogen laden Scientologen in den Unterricht ein, um diese vermeintlich zu entzaubern oder schicken Schüler zur Referats-Recherche bei der Organisation vorbei.“ Doch persönlicher Kontakt sei ein großes Risiko und sollte unbedingt vermieden werden. „Scientologen treten stets freundlich auf und sind oftmals geschickt darin, ihr Gegenüber zu manipulieren“, sagt Riede. Gerade Schüler in Lebenskrisen seien dadurch leicht verführbar. Auch Merkendorf mahnt die Pädagogen zur Vorsicht: „Unsere Leute sind solchen Konfrontationen nicht unbedingt gewachsen.“ Besonders in der Pubertät seien Jugendliche sehr beeinflussbar.

Dabei ist die Way-to-Happiness-Strategie längst nicht der erste Versuch der Organisation, gezielt an Jugendliche heranzukommen. Der Verfassungsschutz NRW beobachtet seit einiger Zeit, dass Scientologen dabei verstärkt über das Internet operieren. „Scientology und ihre Tarnorganisationen nutzen Social Netwoks wie Facebook, Channels wie Youtube oder Twitter, Foren, Blogs und die Enzyklopädie Wikipedia“, stellen die Verfassungsschützer im Jahresbericht 2010 fest. „Geschickte Verquickungen sind erfolgreich darauf ausgerichtet, vor allem Jugendlich zu manipulieren, anzusprechen und in den Bann der Organisation zu ziehen.“

„Jugendliche geraten in völlige Abhängigkeit von Scientology“

So versuchte die Organisation 2010 etwa, junge Leute mit einer Informationsseite über Menschenrechte oder einer Anti-Drogen-Kampagne im Netz zu ködern. Auch Nachhilfe-Kurse waren in den vergangenen Jahren ein Mittel der Scientologen, um sich den Weg in die Kinderzimmer zu bahnen.

Eine der Hauptgefahren für Jugendliche sei, dass sie den Verheißungen der Scientologen Glauben schenkten, sagt Riede. „Sie raten den jungen Leuten von einem Studium oder einer Ausbildung ab und versprechen ihnen eine glanzvolle Zukunft innerhalb der Organisation. Dabei geraten die Betroffenen in komplette finanzielle Abhängigkeit von Scientology und vernachlässigen ihre Ausbildung.“

Auch das von Scientologen praktizierte „Auditing“ ist laut Riede hochgefährlich. Mit dieser Psycho-Methode sollen die Anhänger zu „perfekten Menschen“ heranreifen. „Doch damit werden gerade bei psychisch vorbelasteten Menschen Probleme wie Depressionen oder Traumata noch verstärkt“, sagt Riede. Im schlimmsten Fall drohe der völlige psychische Zusammenbruch. „Gerade deshalb ist es so wichtig, dass die Schulen informiert werden. Jeder Schüler, der durch diese Aktion in die Fänge von Scientology gerät, ist einer zuviel.“