Essen.. Ob eine Stadt schadensersatzpflichtig ist, wenn Bürger auf schneeglatten, ungestreuten Straßen oder Kreuzungen stürzen, darüber sind sich deutsche Gerichte alles andere als einig. Es gibt Urteile in fast alle Richtungen. Eindeutig geregelt ist die Haftungspflicht allein auf Bahnsteigen.
Beim Thema Rechte und Pflichten bei Schnee und Glatteis sind deutsche Gerichte sich alles andere als einig. Während der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm 2010 entschied, dass die Stadt Essen keinen Schadensersatz an einen Bürger zahlen muss, der auf einem nicht gestreuten Fußgängerüberweg einer Hauptverkehrsstraße gestürzt war, hat das Landgericht Duisburg im Januar genau andersherum geurteilt.
In letzterem Fall ging es um einen Glatteisunfall in Oberhausen auf einer Straße der zweiten Dringlichkeitsstufe. Ein 73-jähriger Autofahrer hatte die Stadt nach einem Glatteisunfall auf Zahlung der Autoreparaturkosten verklagt. Er hatte erfahren, dass es an der gleichen Stelle an dem Tag schon mehrere Unfälle gegeben hatte und sah die Stadt deshalb in der Pflicht, die Stelle abzustreuen, auch wenn die Straße eigentlich nicht der Streupflicht unterlag.
Das Argument: Die Stadt habe durch die Polizei von der Gefahr gewusst und hätte genug Zeit gehabt, diese durch Streuen zu beseitigen. Das Gericht folgte dieser Argumentation. Die Stadt Oberhausen will nun vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf in Berufung gehen.
Krankenkasse fordert Schadenersatz
In Magdeburg hingegen verlangte die AOK Krankenkasse von der Stadt die Hälfte der Behandlungskosten für eine 40-Jährige ein, die bei Glatteis an einem Fußgängerüberweg gestürzt war und zwei Wochen im Krankenhaus behandelt wurde. Das Landgericht Magdeburg gab 2010 der Krankenkasse recht. Die Stadt müsse „verkehrswesentliche“ Kreuzungen und Fußgängerüberwege hinreichend streuen. Dass die Fahrbahn gesichert war, sei kein Argument.
„Streudienst kann nicht überall zugleich sein“
Zum umgekehrten Schluss kam das Oberlandesgericht Hamm bei der eingangs zitierten Klage eines Esseners, der ebenfalls auf einem nicht gestreuten Fußgängerüberweg an einer Hauptverkehrsstraße gestürzt war. Die Argumentation in dem Fall: Der Schneefall an der Stelle habe zwei Stunden vor dem Unfall begonnen. Zu der Zeit war der Streudienst der Stadt bereits im Essener Süden unterwegs, wo es früher begonnen hatte, zu schneien. Überall gleichzeitig könne der Räumdienst nun mal nicht sein. Und insgesamt sei das Stadtgebiet binnen fünf Stunden geräumt gewesen, das sei ein akzeptabler Zeitrahmen, befand das Gericht. (AZ I-9 U 113/10 vom 7. Dezember). Eine Revision ist bei diesem Urteil nicht mehr möglich.
Die Bahn haftet selbst
Die Deutsche Bahn muss gegenüber Fahrgästen bei Unfällen auf nicht verkehrssicheren Bahnsteigen haften. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) am Dienstag in Karlsruhe entschieden. Er stellte sich damit eindeutig auf Seiten der Kunden. Wenn ein Reisender auf einem von Schnee oder Glatteis nicht geräumten Bahnsteig stürzt, haftet dafür das jeweilige Bahn-Unternehmen, bei dem der Reisende seine Fahrkarte gekauft hat. Die Deutsche Bahn könne die Haftung dann nicht auf die Bahnhofs-Betreibergesellschaft oder auf einen von dieser beauftragten Reinigungsunternehmer abschieben.
Ticketkauf besiegelt Vertrag
Es ging um eine Reisende, die auf dem Bahnhof in Solingen in einen ICE steigen wollte und dabei wegen Eisglätte stürzte. Die Bahn hatte versucht, die Haftung auf das Reinigungsunternehmen zu verschieben, das für den Bahnhof zuständig ist. Der Bundesgerichtshof war ebenso wie das Oberlandesgericht Düsseldorf jedoch der Meinung, dass der Reisende durch den Ticketkauf einen Vertrag mit dem Bahnunternehmen schließt und dieses somit für die gesamte Reise verantwortlich ist. Das Urteil erleichtert Bahnkunden somit das Durchsetzen von Schadensersatzansprüchen bei Unfällen auf dem Bahnhofsgelände. (AZ: X ZR 59/11, Urteil vom 17. Januar 2012) (mit dapd)