Essen.. Im Ruhrgebiet weisen mehr Kinder sprachliche Defizite auf als im übrigen NRW. Zu diesem Ergebnis kommt der erste regionale Bildungsbericht Deutschlands. Positiv abgeschnitten haben die Unis der Region, auch wenn nach Ansicht der Experten immer noch zu wenige Arbeiterkinder studieren.
Kinder, die im Ruhrgebiet aufwachsen, haben mehr Probleme mit der Sprache als Kinder, die anderswo in NRW groß werden. Das ist das Ergebnis des „Bildungsbericht Ruhr“, der unter Federführung des Regionalverbandes Ruhr (RVR) und mit Unterstützung der Stiftung Mercator aus den Daten der letzten zehn Jahre erhoben wurde.
„Die Kinder vom Chefarzt machen uns meist keine Probleme“, sagt Prof. Wilfried Bos von der Uni Dortmund. Aber davon gibt es vergleichsweise wenige im Revier. Dafür gibt es besonders viele Kinder, die aus armen Familien kommen – Problemkinder, wie viele Studien belegt haben. Warum noch eine Studie? Bos: „Wir wollten endlich belastbare Daten haben. Die müssen wir uns genau angucken, dann können wir handeln.“
30 Prozent haben Förderbedarf
Zwei Jahre vor der Einschulung sind es 30 Prozent aller Kinder in der Region, die einen zusätzlichen Sprachförderbedarf haben. Das sind sieben Prozent mehr als im übrigen NRW.
Zum Positiven: Die Unis im Ruhrgebiet schneiden gut ab. Im Vergleich zum restlichen NRW (2,2 Prozent) stiegen die Zahlen der Studenten im Wintersemester 2010/11 im Ruhrgebiet um 10,3 Prozent.
Mehr Arbeiterkinder an Unis
Überhaupt seien die Revier-Unis deutschlandweit führend in ihrer Qualität, so Prof. Müller-Böling, ehemaliger Rektor der Uni Dortmund. Doch ein großes Defizit sieht er: „Es müssen mehr Arbeiterkinder an die Hochschulen. Wir brauchen wieder Programme, wie damals in den 60er Jahren, als es mit Projekten wie ,Mädchen vom Land an die Uni’ gelang, bildungsferne Schichten an die Hochschulen zu holen.
Doch vorher muss es gelingen, dass die Kinder unfallfrei Sätze bilden. Bevor das geklärt sein wird, haben die Forscher schon mal gute Beispiel aus der Praxis eingesammelt. Hier eine Auswahl:
Excellence-Kita in Mülheim:
Schon in den Kitas wird dafür gesorgt, dass sich Kinder entfalten können – und dabei spielerisch lernen. Ohne Eltern geht es in Mülheim nicht. Bei der so genannten „Early- Excellence-Kita“ werden Eltern als Experten angeheuert, die gemeinsam mit dem Fachpersonal das Beste fürs Kind versuchen. Drei Pilot-Kitas gab es von 2008 bis 2011. Das Ergebnis: Die Kinder erschienen neugieriger, sie waren selbstständiger. Und: In den Kitas herrschte eine ruhige, entspannte Atmosphäre. Mülheim hat deshalb beschlossen, das Excellence-Konzept bis 2015 in allen 39 Kitas städtischer Trägerschaft anzubieten.
Elternschulen in Hamm:
In Hamm können Eltern in Elternschulen Kurse besuchen, um ihre eigenen Fähigkeiten zu verbessern. Vorteil: Da dies in Familienzentren stattfindet, kennen die Eltern die Mitarbeiter und nehmen hier eher teil als in Kursen anonymer Institute.
Rucksack in Essen:
Um die Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus zu verbessern, hat man in Essen das Projekt „Rucksack in der Grundschule“ entwickelt: Hier werden Frauen gewonnen, die Rolle einer „Stadtteilmutter“ zu übernehmen und Müttergruppen bei wöchentlichen Treffs anzuleiten. Themen aus dem Unterricht können aufgegriffen werden, aber auch das Lernen soll gelernt werden. So werden Materialien verteilt, damit die Kinder mit Übungen, Lernspielen oder Anregungen zu Hause ihr Wissen festigen oder vertiefen können.
Parallel dazu arbeiten die Grundschulen an einem Sprachkonzept, das gezielte Übungen der deutschen Sprache anbietet. Stichwort: Trainieren des Minimalwortschatzes. Seit der Erprobungsphase im Jahr 2002 wurde das Rucksack-Projekt mit Erfolg, so heißt es, an zwölf Essener Grundschulen eingeführt.