Warstein.

Bedroht? Rote Liste? Aussterben? Von wegen. Dieser Luchs ist Spitzohr und Schlitzohr. Stadtgespräch in Warstein, Eversberg und Meschede. Mit jedem weiteren Tag schreibt die Wildkatze eine weitere sensationelle Nachricht: Sie lebt.


In Wettbüros werden gemeinhin keine Luchs-Wetten angenommen. Jetzt erst recht nicht mehr. Denn das getürmte Exemplar aus dem Warsteiner Wildpark straft alle Experten Lügen.

Seit fast zwei Monaten schlägt sich der ohne Menschen eigentlich nicht lebensfähige Luchs durch die Wälder in Warstein und Meschede. Hier und da lässt er sich medienwirksam einmal blicken. Mal taucht er plötzlich vor Eversbergs Revierförster Roland Wiese auf, mal reiht er sich gleich ins Gassi-Schlepptau von Spaziergängern mit Hund ein. Und verschwindet.

Ein Foto vom pelzigen Türmling würde selbst erfahrene Paparazzi überfordern. Der Bursche ist schlau.

Dass der Luchs eine der am meisten vom Aussterben bedrohten Wildkatzenarten ist, darüber kann der Freigänger nur müde lächeln. Er entwickelt erstaunlich griffige Überlebensstrategien. Er frisst aus Mülltonnen und soll sich auch schon füttern haben lassen.

Im Wildpark in Warstein vermissen sie ihn. Er soll bald wieder der sechste von sechs Luchsen im Freigehege sein. Noch immer rätseln die Verantwortlichen um Rüdiger Brüggemann, wie das pfiffige Spitzohr eigentlich entkommen konnte. Keine Ausbruchspuren, keine Schäden am Zaun rund um das Gehege. Wie um alles in der Welt hat der Luchs das gemacht?

Es wird ein Rätsel bleiben.

Genau wie das um die ordnungsgemäße Ausstattungen des Tieres mit einem Transponder. Die Stadt Warstein, die dem Wildpark samt Tieren vor einiger Zeit an den Verein Bilsteintal übergab, hat hier wohl geschlafen. Die Stadt will mit der Unteren Landschaftsbehörde angeblich geklärt haben, dass das „Chippen“ der Tiere vorerst hätte ausgesetzt werden dürfen. Der Ausbruch hat das peinliche Versäumnis - im Übrigen ein Verstoß gegen das Bundesartenschutzgesetzt - aufgedeckt.

Das rückt angesichts der anhaltenden Flucht des Richard Kimble auf vier Pfoten allerdings auch erstmal in den Hintergrund.

„Das Tier muss endlich gefangen werden“, sagt Rüdiger Brüggemann. Was ungefähr so kompliziert ist wie die Rekonstruktion des Ausbruchs. Denn nicht irgendein Jäger in Luchs-Weite darf den Flüchtling einfach ins Reich der Träume schicken. Das darf nur Christian Kaiser aus Enste, der Mann mit der Lizenz zum Luchsen. Revierförster Roland Wiese: „Ich habe zum Beispiel nicht die Erlaubnis, den Luchs zu betäuben. Deshalb steht Christian Kaiser in den Startlöchern.“

Bei Anruf Luchsverfolgung.

Was wiederum das Chip-Problem auf die Tagesordnung ruft. Im Arnsberger Wald gibt es - zusätzlich zum Flüchtling - wenige frei lebende Luchse. Sollte aus Versehen eines dieser Tiere narkotisiert werden und wieder in Gefangenschaft aufwachen, würde das enormen Stress für das Tier bedeuten. Und auch für die Mitarbeiter des Wildparks. Man hofft trotzdem den Richtigen zu erwischen.

Irgendwie will man dem pfiffigen Warsteiner Luchs noch ein paar nette Tage in Freiheit gönnen. Immerhin hat er die Prognose der Experten mal eben um sechs Wochen überboten. Er wird den im Wildpark verbliebenen Kollegen spannende Geschichten zufauchen können, wenn er wieder da ist.

In der Zwischenzeit werden sich Stadt und Verein weiter um die Tierarzt-Kosten streiten. Denn alle Luchse brauchen jetzt einen Chip. Der Verein will der Stadt das Geld dafür abluchsen.