Kalkar. . ...liegt die Kontrolle über die Luftwaffe in Kalkar. Bei der virtuellen Übung hatte der Standort den Befehl über 9000 Soldaten
Die Nato spielt Krieg – und am niederrheinischen Kalkar wird er auf dem Reißbrett mit geplant und gesteuert: Auch wenn beim Rundgang durch das Luftstreitkräfte-Hauptquartier in der von-Seydlitz-Kaserne alle tunlichst von „humanitären Einsätzen“ und „Stabilisierung der Regierung“ reden – als das Pressegespräch mit dem Kommandierenden angesetzt ist, hat es dann in der Computersimulation doch „geknallt“. Drei-Sterne-General Dieter Naskrent kommt mit einer halben Stunde Verspätung. Und ernster Miene. „Eine gestohlene und mit Sprengstoff beladene Cessna hatte Kurs auf die Hauptstadt genommen“, sagt er. Und kommt nach einigen Erklärungen über „Abdrängversuche“ und „Warnschüsse“ auf den Punkt. „Wir haben sie abgeschossen.“ Schweigen. Dann, auf eine Nachfrage: „Ja, letztlich habe ich den Befehl dazu gegeben.“
Kalkar ein Gewinner bei der Bundeswehrreform
In Kalkar geht morgen nach einer Woche die letzte Übung zu Ende, bevor es für den Standort ernst wird – und im Konfliktfall solche Entscheidungen deutlich über die kleinen Punkte auf den Computerbildschirmen hinaus Tragweite haben. Dann lägen Menschenleben in den Händen der Soldaten in der Kaserne, die als eine der wenigen mit einer voraussichtlichen Verstärkung von 400 Mann gestärkt aus der jüngsten Bundeswehrreform herausgegangen war. Das dortige Kommando Operative Führung Luftstreitkräfte übernimmt ab 1. Januar für ein Jahr die Kontrolle über die Lufteinheiten der Nato-„Response Force“. Zum ersten Mal überhaupt liegt diese Aufgabe damit bei der Bundesrepublik.
Welche Dimensionen die schnelle Eingreiftruppe hat, wird am Planspiel deutlich: Mit rund 400 echten Soldaten koordiniert General Naskrent von Kalkar aus 9000 virtuelle.
Für den Standort gilt es dabei zu beweisen, dass die Kerntruppe von 60 Soldaten gemeinsam mit Hunderten weiteren aus ganz Deutschland und von sechs Natopartnern zusammengezogenen Männern und Frauen dieser Aufgabe gewachsen ist, erklärt Bundeswehrsprecher Oberstleutnant Alexander Feja. „Wir bekommen danach eine Art Qualitätssiegel.“
Reales Kommando über Eingreiftruppe in 2012
Dabei ist der Einsatz, den ein Nato-Team im norwegischen Stavanger entworfen hat und von dort aus auch überwacht und bewertet, „so nah dran an der Realität wie möglich“. Das bedeutet nicht nur, dass im Verlauf des virtuellen Einsatzes auch einmal ein Flugzeug kaputt geht oder Terroristen eine Cessna kapern. Ein Blick auf die Landkarte mit Fantasieländern wie „Tytan“, „Petraceros“, „Stellaria“ und „Kamon“ lässt den Betrachter stutzen. „Bitte das nicht fotografieren“, heißt es denn auch, als einer der Kollegen seine Kamera ansetzt.
Die Karte mit den Fantasiebezeichnungen zeigt den Golf von Aden. Eigentlich liegen hier Somalia, Äthiopien, Saudi Arabien, Jemen und nicht weit entfernt der Iran, Afghanistan und Pakistan. „Die Amerikaner, die das mit entworfen haben, haben wenig Bedenken, das Szenario dorthin zu verlegen...“, sagt jemand entschuldigend.
Nato-Truppen als Helfer
Die Ausgangslage ist dennoch eine mit betont friedlicher Rolle der Nato. „Die souveräne Regierung von Tytan hat uns um Hilfe gebeten“, erklärt Alexander Feja. „Das Nachbarland Petraceros ist ein gescheiterter Staat und wird von Warlords und Terroristen beherrscht. In Kamon gibt es aggressive religiöse Fundamentalisten. Die unterdrückte Bevölkerung flieht von dort über die Grenze. Und mit Stellaria streitet man sich um eine Inselgruppe mit Ölvorkommen.“ Die Nato agiere in all diesen Fällen „deeskalierend“, liefere Wasser, baue Flüchtlingslager, unterstütze Hilfsorganisationen.
Für General Naskrent ist das insgesamt eine Übung, die vor allem die „internationale Zusammenarbeit verbessert“ und „Fehler aufgezeigt“ habe. Auch die anderen Waffengattungen waren beteiligt, sprachen sich laufend mit der Luftwaffe in Kalkar ab. Das Heereshauptquartier lag im griechischen Thessaloniki, die Marine in Neapel (Italien), Spezialkräfte bekamen ihre Befehle aus Alicante (Spanien) und die Logistik übernahm Litauen. Das übergeordnete Kommando lag im belgischen Brunssum. Naskrent: „Wenn in dieser Übung etwas passiert, sieht man schnell die Schwachstellen. Nach vier oder fünf Tagen hatten wir die Kameraden so integriert, dass das als Team funktioniert.“