An Rhein und Ruhr. Besuchssperre in den Haftanstalten in NRW. Bislang ist ein Häftling positiv getestet worden. Wer entlassen wird, stößt draußen auf Probleme.

Am Abend des 17. März wurde es laut in der Klever Justizvollzugsanstalt. Zwei Stunden lang lärmten die Gefangenen, traten gegen die Türen ihrer Zellen. Kurz zuvor hatte die Gefängnisleitung einschneidende Maßnahmen bekannt gegeben, mit denen eine Ausbreitung des Coronavirus verhindert werden soll. Keine Besuche mehr, Einschränkung der Freizeitaktivitäten. Die Epidemie hat auch den Alltag in den Gefängnissen an Rhein und Ruhr verändert.

Ein Corona-Ausbruch in einem geschlossenen System wie einem Gefängnis, wo Menschen auf engem Raum zusammen untergebracht sind, wäre dramatisch. Deswegen „versuchen wir, das Infektionsrisiko so gut wie möglich zu senken“, sagt Marcus Strunk, Referatsleiter Justizvollzugskommunikation im Landesjustizministerium. Bislang hat das weitgehend funktioniert. Erst ein Gefangener im offenen Vollzug in Euskirchen wurde positiv getestet, der geschlossene Vollzug ist noch verschont geblieben.

Gefangenen-Gewerkschaft: Situation ist pulverfassartig

Wichtig sei aber auch, den „Frieden in der Anstalt und unter den Gefangenen“ zu wahren, betont Strunk. Den sieht die in Berlin ansässige Gefangenen-Gewerkschaft (GG/BO) gefährdet. Sie warnt vor Unruhen in den Haftanstalten: „Die Situation ist pulverfassartig, die Stimmung kocht“, sagt einer ihrer Sprecher. Gefangene und Angehörige beklagten eine mangelhafte Kommunikation und Intransparenz.

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Tom V. hat das so nicht empfunden. Er saß vier Monate in Kleve ein, wurde jüngst nach Verbüßung von zwei Drittel seiner Haftstrafe entlassen. Die Einschränkungen seien zwar drastisch gewesen, „aber die Gefangenen halten gut zusammen“, erzählt der junge Mann. Ein „paar Konsorten“ hätten nach der Verhängung allerdings Ärger gemacht, viermal sei seit dem 17. März das schrille Geräusch des Alarms in der Anstalt ertönt. „Das habe ich in der Zeit zuvor nicht erlebt.“ Insgesamt sei die Situation aber ruhig gewesen, die Anstaltsleitung habe die Häftlinge umfassend informiert.

Im ständigen Austausch mit den Gefangenen

„Wir sind im ständigen Gespräch mit den Gefangenen“, betont Jörg Neyenhuys, Sprecher der Klever JVA, in der aktuell rund 200 Gefangene einsitzen. Die Insassen hätten Verständnis für die ergriffenen Maßnahmen und verhielten sich vorbildlich. Zugleich versucht man in Kleve, einem möglichen Lagerkoller entgegenzuwirken. Die Häftlinge hätten freien Zugang zu Medien, es gebe Sportangebote, sie dürften telefonieren. „Nach zehn Minuten ist damit aber Schluss“, kritisiert Tom V., und Untersuchungshäftlinge dürften überhaupt nicht telefonieren. In Kleve sitzen überdurchschnittlich viele Gefangene in Untersuchungshaft.

Anders im Gefängnis in Geldern-Pont. Dort sind unter den 488 Gefangenen viele schwere Jungs, Langzeithäftlinge. „Es herrscht relative Ruhe“, berichtet Anstaltsleiter Andreas Schüller. Auch in seiner JVA sind Besuche jetzt untersagt. Die Gefangenen können ihre Angehörigen aber zumindest über Videotelefonie sehen. „Wir haben vier Skype-Besuchsplätze eingerichtet“, erzählt Schüller. Die Häftlinge dürfen mehr Tabak einkaufen als üblich. 80 Prozent von ihnen arbeiten, das lenkt ab.

Abteilungen werden für Corona-Fälle frei gezogen

Schüller spricht regelmäßig mit den Mitgliedern der Gefangenenmitverantwortung, informiert sie über die Lage. „Das kommt gut an.“ Er hat die Häftlinge auch gebeten, auf die üblichen Umarmungen auf dem Hof zu verzichten, mit denen sie zeigen, wer mit wem verbunden ist. „Das funktioniert nicht“, räumt er ein.

Wie in anderen Haftanstalten ist auch in Geldern eine Abteilung frei gezogen worden, um dort Häftlinge in Quarantäne unterbringen zu können, falls Corona-Fälle auftreten sollten. Ein Erlass des NRW-Justizministeriums hilft dabei. Häftlinge, die eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen oder maximal 18 Monate sitzen, so sie denn keine Sexualstraftäter sind, können in eine Strafunterbrechung entlassen werden. Das schafft freie Plätze. In Geldern konnten bislang fünf Häftlinge eine solche Strafunterbrechung antreten, in Kleve zehn, in der Essener JVA, wo Kurzzeithäftlinge einsitzen, sogar 40, wie Sprecher Marc Marin berichtet.

Ohne Besuche kommen weniger Drogen in die Anstalten

Auch der Sprecher der Essener JVA mit aktuell rund 450 Gefangenen meldet trotz der massiven Einschränkungen derzeit keine Probleme: „Wir informieren umfassend, auch mit mehrsprachigen Info-Blättern. Unter den gegebenen Umständen können wir einen guten und sicheren Dienstbetrieb aufrechterhalten.“

Unter der Hand ist zu hören, dass ein Problem allerdings größer werden könnte. Kein Besuch bedeutet auch, dass weniger Drogen in die Gefängnisse gelangen. „Das könnte möglicherweise zu gesteigerter Nervosität führen“, formuliert es ein JVA-Mitarbeiter.

Eine Belastung für die Bediensteten

Für die Bediensteten ist die aktuelle Lage ebenfalls eine Belastung. „Ich hoffe, dass wir die Stimmungslage im Griff behalten“, sagt Ulrich Biermann, Landesvorsitzender des Bundes der Strafvollzugsbeamten. Was ihn stört ist, dass in den Anstalten nicht flächendeckend auf Corona getestet wird. Zudem kritisiert er, dass die Anstalten „nicht optimal“ mit Schutzausrüstungen für die Bediensteten ausgestattet sind.

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Von Jan Jessen, Denise Ludwig, Simon Gerich und Stephan Hermsen

Für Tom V. hat die Corona-Krise noch andere ganz Auswirkungen. Es gibt für ihn keine Betreuung in der Freiheit. Wohnungsbesichtigungen und Ämtergänge fallen aus. „Ich hätte in ein Obdachlosenheim gemusst oder in ein Haus, in dem viele Drogensüchtigen leben.“ Er ist auf Bewährung. Die will er nicht riskieren. Er hat Glück gehabt, und ist jetzt bei Bekannten untergekommen. Trotz Kontaktverbot.