Abstand halten, Hände waschen: NRZ-Reporter Matthias Maruhn schreibt von der Bank aus über seine Erlebnisse in schwierigen Corona-Zeiten.

In der Nacht umstellen Gedanken wie ein Rudel Hyänen mein Bett. Das Bellen weckt mich, so schnell schlaf ich nicht wieder ein. Die Ungewissheit zermürbt. Ein Mensch aber braucht dringend Pläne im Leben. So sehr sehnen wir uns jetzt nach dem Funken Zuversicht, nach einem vagen Datum, das die Wende markiert.

Nachts aber ist das Warten darauf eine kräftezehrende Mühsal, das Kissen wird zum Nagelbrett. Dazu schleicht sich in dieser Stunde ohne Schlaf die kleine Panik nebenbei ins Zimmer: War das gerade nicht ein Kratzen im Hals, und dazu dieses ständige Hüsteln. Es wird dir angst und bange. Aber da haut keine Sekunde zu spät der Verstand mit der Faust auf den Tisch: „Schluss jetzt. Nur ein Symptom ist messbar und daher relevant. Und du hast kein Fieber. Reiß dich also am Riemen.“ Logik beruhigt. Die Hyänen trollen sich. Und ich schlaf wieder ein.

Ob die Bauern für die Ernte meine Hilfe brauchen?

Mit der Sonne kehrt dann die Kraft zurück. Zeit fürs Tagwerk. Am Wochenende bin ich zunächst raus zu einem Bauern in der Nähe, von dem ich gehört hatte, dass ihm für die bevorstehende Spargel-Ernte die Helfer fehlen. Ich bot meine Dienste an, vergebens, Dutzende waren schon vor mir da. Ich bin aber nicht unfroh: Mein linkes Knie hatte zuletzt häufiger gezickt, wer weiß, ob es die Knechterei durchgestanden hätte.

Ich verabschiede mich mit kleinem Scherz: „Wenn Sie mit der Aussaat beginnen, ich könnte mir durchaus eine späte Karriere als Vogelscheuche vorstellen.“ Wir lachen kurz, aber bevor er darüber ernsthaft nachdenkt, mach ich mich vom Acker.

Dann droht das Aus für einen Lebenstraum

Zu Hause kommt mir ein jüngerer Nachbar entgegen, ein sonst frohgemuter Mann, jetzt aber ihm sind die Sorgen tief ins Gesicht geschrieben. Am Tag zuvor hat er den Friseur-Salon, den er mit seiner Frau betreibt, am Morgen nicht mehr aufgeschlossen. Einige Wochen kann er das vielleicht finanziell durchhalten, verrät er, aber dann droht das Aus für den Lebenstraum. Ein erster Kontakt mit der Bank hat nur Frust gebracht.

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Wir haben bei dem Gespräch natürlich zwei Meter Abstand eingehalten. Corona-Etikette. Nur manchmal im Supermarkt durchbricht jemand die verordnete Distanz, meist eher gedankenverloren als rücksichtslos. Ich bin auch mal gespannt, welche Begriffe es „danach“, also nach der Pandemie, in unseren Wortschatz schaffen. So ein „Wieso bist Du denn schon wieder auf zwei Meter?“ könnte ich mir bei einer zwischenmenschlichen Diskussion prima vorstellen. Die nun seit drei Wochen gängigen Abschiedsformeln „bleibt gesund“ oder gar „stay save“ sind jetzt schon leicht ausgefranst und somit nervig.

Und meine Frau schickt mich zum Händewaschen

Im Haus begrüßt mich meine Frau mit dem beiläufigen Hinweis „Hände waschen“. Mach ich ja. Madame Quarantäne nenne ich sie liebevoll. Ich darf das, im Sommer feiern wir die Aluminiumhochzeit (zwischen Silber und Gold) und trotz der neuen Nähe jeden Tag ist bei uns höchstens mal Schwachstrom unter der Tapete. Lieber sind wir gemeinsam melancholisch, wie gestern, als unsere Tochter uns am Telefon erzählte, dass Professor Brokkoli, der jüngste Enkel, seinen ersten wackeligen, ganz kleinen Schritt in die Welt gesetzt hat. Ohne uns. Verdammt.

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Ich schnapp mir die Zeitung. Ich lese viel im Moment. Fast alles. Sogar die Meldungen auf der Seite „NRZ vor 50 Jahren“. Am Montag war da vom Schlager-Grand- Prix die Rede. 1970. Dritter Platz für Katja Ebstein. Ich kann den Song noch locker mitsummen. „Wunder gibt es immer wieder.“ Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt.