Duisburg/Los Angeles. Im Ruhrgebiet reißt er ab, woanders baut er auf. Der Duisburger Marc Sommer hat in Los Angeles das Haus von Thomas Mann saniert.

Den legendären Sunset Boulevard ist er langgefahren, dann den San Remo Drive hinauf bis Nr. 1550 und nun steht Marc Sommer da vor diesem Haus in Pacific Palisades, am Rande von Los Angeles. Es ist nicht irgendein Haus, es ist ein sehr geschichtsträchtiges Haus. Es ist das ehemalige Haus von Thomas Mann: Und als Sommer es besucht, ist es in Gefahr. Sommer soll es retten.

Das Thomas-Mann-Haus  in Pacific Palisades, Los Angeles. Martin Tazl
Das Thomas-Mann-Haus  in Pacific Palisades, Los Angeles. Martin Tazl © HO | Martin Tazl

Zehn Jahre hat der weltberühmte Schriftsteller hier gelebt, 1952 hat er es verkauft an eine Familie mit dem Namen Lappen. Die will es loswerden im Herbst 2016. Interessenten gibt es genug. Allerdings für das Grundstück, nicht für das Haus selbst. Denn die Lage ist erstklassig. „Die meisten Interessenten wollten es abreißen und neu bauen“, erinnert sich Sommer. Die Bundesrepublik Deutschland will es retten, will die Geschichte bewahren. Aber sie ist sich nicht sicher, ob eine Sanierung möglich ist und ob sich der Aufwand lohnt. Deshalb hat sie den Duisburger nach Kalifornien geschickt. Denn er kennt sich aus mit alten Häusern.

Langen Oskar und Weißen Riesen abgerissen

Im Ruhrgebiet selbst ist Sommer dagegen eher bekannt dafür, Dinge ein- und abzureißen. Den Langen Oskar, das Hochhaus der Sparkasse in Hagen hat er 2004 mit einer Sprengung in Schutt und Asche gelegt, in diesem Jahr erst auch den „Weißen Riesen“ von Duisburg. Sommer lacht. Häuser sprengen, scherzt der an der Bochumer Ruhr-Uni seinen Bauingenieur gemacht hat, sei so eine Art Hobby von ihm. Viel mehr aber interessiere ihn der „nachhaltige Umgang mit existierender Bausubstanz“. „Das ist viel reizvoller, als irgendwo ein völlig neues Gebäude aus dem Boden zu stampfen.“ Was erklärt, warum er sein Ingenieurbüro „rebuild.ing“ genannt hat.

Von 1999 an hat er das ehemalige Bundeskanzleramt in Bonn von Asbest befreit und seitdem bei zahlreichen Ausschreibungen des Bundes den Zuschlag erhalten. Gebäude in aller Welt hat er saniert. „Botschaften, Goethe-Institute, Deutsche Schulen“, zählt der 44-Jährige auf. Alles interessante Aufgaben, die er anscheinend gut gelöst hat. Deshalb auch die Bitte, sich das Mann-Haus in Los Angeles anzuschauen.

In 74 Jahren hatte das Haus viel mitgemacht

Thomas Mann und seine Zeit im Exil

Literatur-Nobelpreisträger Thomas Mann lebte während seiner Zeit im Exil von 1942 bis 1952 in dem Haus in Pacific Palisades.

Dort entstanden einige der wichtigsten Werke Thomas Manns, darunter sein Roman „Doktor Faustus“, große Teile des vierten Bandes der „Joseph und seine Brüder“-Tetralogie sowie zahlreiche politische Reden und Schriften.

Während der NS-Zeit fanden viele Schriftsteller und Künstler Zuflucht im Großraum Los Angeles.

„Von außen sah das alles ganz gut aus“, erinnert er sich. Hinter der Fassade aber zeigte sich, dass die fast 75 Jahre ihre Spuren hinterlassen haben am ehemaligen Domizil des Schriftstellers. Zwei wirklich schwere und unzählige leichte Erdbeben hat es mitgemacht, „die ein oder andere Termite beherbergt“ und an manchen Stellen ist Feuchtigkeit eingedrungen. „Aber die Grundsubstanz war noch in Ordnung.“ Der Bund gibt grünes Licht und nach gewonnener Ausschreibung macht sich der Duisburger an die Arbeit. Flächenmäßig ist das rund 470 Quadratmeter große Haus des Literatur-Nobelpreisträges das kleinste Projekt, das Sommer für den Bund bis dahin gemacht hat. Vom Arbeitsaufwand her ist es das nicht.

Das Thomas-Mann-Haus bei Nacht. Martin Tazl
Das Thomas-Mann-Haus bei Nacht. Martin Tazl © HO | Martin Tazl

Denn Sommer soll nicht nur sanieren, er soll auch rekonstruieren. Soll das mehrfach um- und ausgebaute Haus in den Ur-Zustand versetzen. Oder zumindest möglichst nah dran. Und er muss im Zeitplan bleiben, denn Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier will zur Eröffnung vorbeikommen. Das Datum steht, es lässt nicht viel Zeit für Verzögerungen zu und das Auswärtige Amt stellt auch ausdrücklich klar. „Failure is no option” – Scheitern ist keine Option.

Neue Leitungen und Rohre? Kein Problem. In mehreren Lagen verlegte Bodenbeläge rausreißen und ersetzen? Routine. Teile der tragenden Konstruktion austauschen und gegen Termitenbefall schützen? Alles schon mal gemacht. Aber eine mehrere Dutzend Male überstrichene Einbauküche aus den 40er-Jahren anhand von einigen wenigen Schwarz-Weiß-Fotos in Original-Tönen rekonstruieren? Vor Jahrzehnten zugemauerte Kamine oder Einbauschränke wieder ans Tageslicht holen? „Das hat man nicht alle Tage“, sagt Sommer.

Farbe der Küchenmöbel im Labor rekonstruiert

Er taucht mit seinem Team ab in die Archive, lässt sich für Unsummen die nur noch auf brüchigem Papier erhaltenen Baupläne kopieren und die Lackschichten der Küchenmöbel, die lässt er im Labor untersuchen, bis er die Original-Farbe nachmischen kann.

Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kam zur Eröffnung Copyrights bei Marc Sommer und Martin Tazl  
Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kam zur Eröffnung Copyrights bei Marc Sommer und Martin Tazl   © Martin Tazl

Soviel Akribie spricht sich rum. Irgendwann bittet ihn ein Paar aus der Nachbarschaft, doch mal die Renovierungsarbeiten in ihrem Haus anzusehen. Man trinkt ein Bier, sitzt im Garten und plaudert. Erst die Kollegen verraten ihm später, wen er da beraten hat. Kurt Russell und Goldie Hawn. Sommer lächelt. „Ich hab sie nicht erkannt.“

Im Juni vergangenen Jahres ist Eröffnung. Sommer und sein Team haben Zeit- und Kostenplan (4,2 Millionen Euro) eingehalten. Und wie bei jeder guten Renovierung gehen die letzten Handwerker zur Hintertür raus, während vorne schon die ersten Gäste kommen – unter ihnen der Bundespräsident. Alle sind begeistert, es gibt viel Lob, das größte kommt von Mann-Enkel Frido, der das Haus noch aus seiner Kindheit kennt. „Es sieht aus wie früher.“ Der Ingenieur nickt. „Viel mehr“, sagt Sommer, „kann man nicht erwarten.“

Thomas Mann-House hat eine neue Aufgabe

Mittlerweile dient das „Thomas-Mann-House“ wie geplant als transatlantische Begegnungsstätte. Ziel ist es, „Gelegenheit zum Austausch untereinander und mit dem Gastland über die großen Fragen unserer Zeit“ zu geben. Zu den ersten Stipendiaten gehören der Schauspieler Burghart Klaußner, der Literaturwissenschaftler Heinrich Detering, die Soziologin Jutta Allmendinger sowie der Mikroelektroniker Yiannos Manoli. Informationen, Bilder und auch Videos zum Thomas-Mann Haus: www.rebuild-ing.group oder www.martintazl.com.