Duisburg. Kaffee, Kleidung oder einfach nur ein offenes Ohr. Vier Mal in der Woche fährt der Kältebus durch Duisburg. Wir haben ihn einen Tag begleitet.
„Zwei Mal Zucker und Milch“, sagt eine Frau. „Macht Ihr mir auch noch einen?“, fragt ein anderer. Sie wollen einen heißen Kaffee. Der wärmt wenigstens für ein paar Minuten. Es ist kalt und grau auf dem August-Bebel-Platz, mitten im Duisburger Stadtteil Marxloh. Ringsherum Häuser mit Ladenlokalen, ein Lebensmittel- und ein Kleidungsdiscounter.
Wenn Wilfried Becker und Rudi Motzkuhn ihr umgebautes Wohnmobil auf den Platz steuern, werden sie bereits erwartet. Ihre Handgriffe sitzen. Motzkuhn drückt einen Knopf, damit an der Außenseite des Fahrzeugs eine Trittstufe herausfährt. Dann holen sie aus dem hinteren Teil Plastikbecher, hinter ihnen stehen zahlreiche Thermoskannen, dazu eine weiße Box mit Zuckerwürfeln und Kondensmilch.
Der Kältebus ist das ganze Jahr über unterwegs
Einmal durchatmen. „Wollen wir?“, fragt er dann seinen Kollegen. Daraufhin öffnet er die Tür des Fahrzeugs. Sie gleitet in der Schiene nach hinten. Das grelle Licht an diesem Tag, Kälte und die Stimmen der Kunden dringen in den Innenraum. Becker und Motzkuhn verteilen kostenlos Kaffee, belegte Brötchen, Lebensmittel von der Tafel und warme Kleidung.
Die Leute, die draußen warten, bezeichnen sie als ihre Kunden. Erst geben die Beiden den übrig gebliebenen Kuchen einer örtlichen Bäckerei aus, anschließend Tomaten und Käse. Vier Mal in der Woche hält der Kältebus in Marxloh und anderen Teilen des Duisburger Stadtgebiets - das ganze Jahr über, auch im Sommer. Zusätzlich ist ein ehrenamtlicher medizinischer Notdienst unterwegs. „Heute ist nicht viel los“, sagt Motzkuhn. „Zum Monatsanfang haben die Leute noch genug Geld.“
In zwei Wochen sehe das schon völlig anders aus. Nicht alle der Kunden leben auf der Straße. Nur haben viele trotzdem nicht ausreichend Geld, sich mit Lebensmitteln einzudecken. Daher nutzen sie täglich das Angebot des Vereins „Gemeinsam gegen Kälte Duisburg“. Knapp acht Stunden sind die ehrenamtlichen Mitarbeiter unterwegs.
Der Tag beginnt morgens um 8.30 Uhr
Früh morgens ging es los: Brötchenschmieren. Käse, Salami, Schinken, Mett. Letzteres ist besonders beliebt. Über Nacht steht der Bus sicher auf dem Hof einer Behindertenwerkstatt. Abfahrt ist um 8.30 Uhr, erster Halt ist in der Innenstadt. Die meisten, die bereits früh an der Haltestelle stehen, sind obdachlos. Sie freuen sich sehr auf den heißen Kaffee. Und auf das nächste Spiel des MSV. Besonders einer, der vorne an der Theke des Wohnmobils steht, das Getränk schlürft und in der Innentasche seiner Jacke den Sportteil einer Boulevardzeitung trägt.
Nach einer Stunde ist alles verteilt. Zwei junge Männer fragen noch vorsichtig nach einem Kaffee. Und nach Schuhen. Die alten, weißen Turnschuhe sind löchrig, das Regenwasser und damit die Kälte stehen in den Socken. Motzkuhn fragt nach der Größe. 42 und 43. Hinten im Regal findet er zwei Paar. Sie passen und halten warm. Ein anderer Bedürftiger, dessen Zelt vor kurzem in Brand gesetzt worden ist, erhält Unterwäsche. Die ist bitter nötig.
Die Temperaturen lagen auch in diesem Winter in einigen Nächten weit unter dem Gefrierpunkt. „Anfang Januar wurden wir alarmiert, weil jemand mit einer Körpertemperatur von unter 36 Grad gefunden wurde. Der Krankenwagen hat ihn sofort mitgenommen“, berichtet Motzkuhn, als sich der Bus wieder in Bewegung gesetzt hat.
„Grundsätzlich haben die Obdachlosen in Duisburg den Winter aber gut überstanden“, ergänzt Becker. Er kenne selbstverständlich nicht alle, die in der Stadt auf der Straße leben. Einen fundierten Einblick in die Szene hat er dennoch. „Ob das jetzt nur an den Kältebussen liegt, dass es so wenige Kältetote in NRW gab, kann ich nicht sagen. In Duisburg werden zum Beispiel bei einer Außentemperatur unter Null die U-Bahnhöfe für Obdachlose geöffnet.“
Decken, Hygieneartikel und immer wieder neue Schlafsäcke
Lebensgefährlich sind bereits Temperaturen von unter zehn Grad. „Ab und zu verschwindet jemand“, sagt Becker. Entweder sei er dann im Krankenhaus oder verhaftet worden. Auf der Straße spreche sich das schnell rum. Schlafsäcke, Decken, Hygieneartikel und Kleidung haben sie reichlich im Vorrat. Der spendenfinanzierte Verein kommt derzeit gut über die Runden. Auch in vielen anderen deutschen Großstädten ist so ein Bus unterwegs. Der aus Duisburg ist einer unter vielen.
Einige Obdachlose brauchen dort jedoch fast täglich neue Schlafsäcke. „Die lassen sie an ihrem Schlafplatz liegen und werden dann geklaut. Das machen sie gegenseitig“, weiß Becker. Ziel der beiden ist es, die Menschen von der Straße zu bekommen. „Das große Problem ist, dass sie immer wieder in die gleichen Strukturen zurückfallen und mit den gleichen Leuten Kontakt haben.“ Und dann kreist die Schnapsflasche. So werde ein Ausstieg schwierig.
Auf dem Rückweg aus Marxloh halten Wilfried Becker und Rudi Motzkuhn in Walsum. Dort sammeln sie Schmalz und Kleidung ein, die eine ältere Dame zur Verfügung stellt. Der leere Bus wird wieder voll. Die Sachen bringen sie bald an Mann und Frau. Denn am nächsten Tag früh morgens stehen die Menschen wieder an der Haltestelle und warten auf den Bus.