Zum Ende des Bergbaus erzählt eine Wirtin aus Bottrop von den besseren Zeiten. Damals standen die Kumpel noch in Dreier-Reihen am Tresen.
Der Platz ist perfekt für die Fotos. Mehr Bergbau, mehr Bottrop geht nicht. Hinter uns die alte Zeche Prosper, der Schacht, davor der wunderbare Malakoff-Turm, gegenüber, Ecke Knappen- und Steigerstraße, liegt die Kneipe, um die es heute geht. Susanne steht auf, „komm“, hier draußen ist es frisch und drinnen sitzen Frühstücksgäste, die den letzten Kaffee oder das erste Pils wollen. „Wir reden an der Theke.“
Das Bierzapfen hat sie früh erlernt. Mit sieben Jahren
Susanne Schacht-Heintze ist 57 Jahre alt. Einige davon hat sie in Bayern gelebt, in München, den Rest hier. Für Susanne war die Kneipe Heim. „Wenn ich von der Schule kam, war auf der Zeche oft Schichtwechsel. Dann standen die Kumpel hier in Dreierreihen an der Theke. Wir hatten einen Schalterverkauf vorne, da musste ich früh helfen und die Flaschen von hinten holen. Hat mir Spaß gemacht. Ich wollte auch immer an den Zapfhahn. Mit sieben durfte ich dann. Aber nur Export. Pils war zu schwierig, wegen des Schaums.“
„Zum Hirsch“ hieß die Kneipe, als sie 1874 eröffnet wurde. 1960 übernahmen die Heintzes. Es begann nicht gut. „Ich war vier Jahre alt, als mein Vater starb. Die Folgen mehrerer Schussverletzungen im Krieg. Meine Mutter und Oma haben weitergemacht.“ Nicht immer leicht, denn in so einer Kneipe kann es laut werden. „Die haben natürlich in den 60ern viel über Politik gestritten. Oder Fußball. Wir liegen ja hier zwischen RWE und Schalke. Da war was los. Da flogen auch mal die Fäuste.“
Samtkragen einschenken ist eine kleine Kunst
Und dann? „Dann ist Oma dazwischen. Die war nur so 1,60 groß, aber die haben gekuscht. Einmal hat sie einen Schwinger aus Versehen abbekommen und 14 Tage war das Auge blau. Der Typ hat sich aber jeden Tag bei ihr zehnmal entschuldigt. Sonst hat sie alle vor die Tür gesetzt, „kloppt euch draußen weiter“. Bis die Polizei kam? „Polizei wurde nie gerufen. Meist haben sie später mit blutiger Lippe am Tresen einen gekippt.“
Was wurde denn getrunken? „Pils, Korn oder beides. Ein Gedeck. Kostete lange eine Mark. Typisch für hier sind der Samtkragen und der Strubbelige, Korn mit Boonekamp. Samtkragen einschenken ist eine kleine Kunst. Braucht man Gefühl und eine Tülle.“
Oft warteten vor der Tür die Frauen auf ihre zechenden Männer. „Wenn es Geld gegeben hatte. Ein Heiden-Palaver. Ich seh die Frauen noch vor mir. Meistens hatten sie einen Kittel an und Kopftuch auf. Mit Lockenwicklern drunter Als Gäste kamen Frauen nur Sonntags in die Kneipe. Dann im weißen Kittel, dem ‘für gut’. Die hatten halt Angst, dass die Männer alles versaufen. Kam ja vor. Das änderte sich schlagartig, als die Lohntüten verschwanden und das Geld überwiesen wurde. Jetzt übernahmen Frauen die Geldgeschäfte.“
Zeitgleich schlossen die Zechen oder Schächte, die Männer wurden verlegt. „Früher kamen alle mit dem Fahrrad. Es gab hier einen riesigen Parkplatz mit zwei Fahrradwachen, meist Kumpel, die nach einem Unfall nicht mehr runter konnten.“
Darts, Skat und knobeln: Heintze versuchte alles
Jetzt aber kauften alle Autos, um zum neuen Schacht zu fahren. Das Kneipensterben setzt ein. „Gleich gegenüber gab’s das ‘Hörsgen’, mehr das Wirtshaus für den Steiger, etwas feiner, Pils dauerte ewig. Und wenn du gemeckert hast, konntest du gleich gehen. Die machten dann zu, heut ist das Haus eine Ruine. Schande.“
Bei „Heintze“ geht der Kampf weiter. „Alles haben wir probiert. Als Buntfernsehen kam, haben wir einen Apparat zur WM in Mexiko auf den Flipper gestellt, Kegelbahn haben wir, für Darts ist der Laden zu klein, Skat und Knobeln sind fast verschwunden, Sky ist zu teuer, die wollen um die 800 Euro im Monat, wer soll das reintrinken, nach dem Rauchverbot habe ich mehr als die Hälfte der Gäste verloren.
Susanne hebt die Schultern. „Meine Kinder haben mir gesagt, dass sie hier nie im Leben einsteigen wollen. Ich mach erstmal weiter. Den Stammtisch habe ich für eine Bühne geopfert. Da gibt’s jetzt zwei Mal im Monat Musik. Wer will, macht mit.“ Eine Herzenssache, sieht man.
„Auch die Abschiedsparty für den Bergbau morgen ist mit Musik. Vielleicht redet auch einer. Oder wir singen Verdammt, ich hab die Tülle verkramt. Ja, die für den Samtkragen. Die muss ich finden.“ Klar, ein Samtkragen gehört ganz bestimmt dazu. Zum letzten „Glück auf“.