Essen. . Geld machen mit Datenschutz? Eine Essener Firma soll Persönlichkeitsrechte verletzt haben. Experte erklärt, wie Betroffene reagieren sollten.
Die Mail wird am 20. April abgeschickt. Um 14.20 Uhr. Und das unerwünschte Schreiben landet im Postfach eines Essener Dienstleistungsunternehmens. Ein gewisser Rainer D. aus Stuttgart ist der Absender, der in einer verqueren Juristensprache zu einem Schlag ausholt.
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In Kurzform: Er habe die Homepage des mittelständischen Unternehmens besucht und festgestellt, dass dabei seine geschützte persönliche Computer-Adresse, über die er identifizierbar sei, an den Internetriesen Google übermittelt wurde – und zwar ohne seine Einwilligung.
Geht es allein darum, Geld zu machen? Oder gibt es wirklich einen krassen Fall von Datenmissbrauch? Die Geschäftsführerin des Essener Unternehmens, die anonym bleiben möchte, betont, „keinerlei Interesse an persönlichen Daten der Website-Besucher“ zu haben.
„Uns interessiert lediglich, wie viele Besucher die jeweilige Seite hat und welches die Top-Themen sind.“ Sie vermutet, dass jemand versucht, „eine unklare Rechtslage zu nutzen, um sich auf fragwürdige Weise zu bereichern“. Sie hält das Anliegen Datenschutz lediglich für „vorgeschoben“.
Komplette Geschäftsidee?
Trotzdem ist der Fall in der Welt. Denn Rainer D. fordert in der genannten Mail, erstens über die Daten „Auskunft zu erteilen“, zweitens „die Löschung solcher gespeicherten Daten zu veranlassen“ und drittens „mir dies zu belegen.“ Tatsächlich ist die Mail aus Stuttgart alles andere als ein Einzelfall.
Rainer D. nennt in seiner Mail seinen vollen Namen und seine Adresse in Stuttgart – somit lässt sich leicht herausfinden, wie die Geschichte einzuschätzen ist. Jedenfalls gibt es im Internet genügend Quellen, die auf Rainer D. verweisen. So ist unter „anwalt. de“ zu lesen, dass die Geschäftsidee des Mannes wohl auf Abmahnungen beruht: „Bereits im Februar 2017 verschickte er als angeblicher Geschäftsführer einer Credicon Ltd. aus London massenhaft Briefe an Websitebetreiber, in welchen er diesen Datenschutzverstöße im Zusammenhang mit Google Analytics vorgeworfen hat.“
Ein Honorar von 571,44 Euro
Ignorieren darf man Rainer D. trotzdem nicht. In diesem Punkt sind sich die Juristen einig, und so fordert die Geschäftsführerin des Essener Unternehmens – auf den Rat ihrer Anwältin – den Abmahner auf, nachzuweisen, dass seine Computer-Adresse „durch Google erfasst und weitergeleitet“ wurde. Die Antwort ließ lange auf sich warten, aber sie kam, diesmal per Post, und zwar ohne den geforderten Nachweis.
Unter dem Datum 27. August 2018 wiederholt die Kanzlei „Negele, Zimmel, Greuter“ weitgehend wortgleich zur Mail von Rainer D., dass sich „die Übermittlung der personenbezogenen IP-Adresse unseres Mandanten auf keinen datenschutzrechtlichen Erlaubnistatbestand“ stütze – darauf basierend fordert Rechtsanwalt Roland M. Zimmel nicht nur eine „Unterlassungserklärung“, sondern vor allem: ein Honorar. Die Essener Firma habe „die Kosten unserer Beauftragung zu ersetzen“, konkret 571,44 Euro bei einem Gegenstandswert von 6000 Euro.
Spätestens diese Rechnung stützt den naheliegenden Verdacht, dass es weniger um Datenschutz oder Privatsphäre geht, sondern allein um Geld. Marc Balke, Datenschutzbeauftragter bei der Industrie- und Handelskammer Ruhr, mutmaßt gegenüber der NRZ, „dass es wohl Ziel sei, diejenigen zu erwischen, die einfach zahlen.“ Es spreche sogar einiges dafür, dass mit der Zahlungsbereitschaft jener Leute, die sich einschüchtern ließen, eine „hübsche Summe“ zusammen kommen könne.
Balkes eindringlicher Rat: „Bloß nichts unterschreiben“, weil es für diese Fälle „überhaupt noch keine Rechtsprechung“ gebe. Es sei tatsächlich „völlig ungeklärt“, ob ein Anspruch vorhanden sei. Betroffene sollten sich an die IHK oder an auf Datenschutz spezialisierte Anwälte wenden.
Mittlerweile ist immerhin ein erstes Urteil absehbar. Gegen eines der offenbar in Serie abgemahnten Unternehmen hat die Kanzlei „Negele, Zimmel, Greuter“ für ihren Mandanten Rainer D. Klage beim Amtsgericht Bremen eingereicht, auf „Unterlassung und Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten“. Wohl um Rechtsklarheit zu schaffen und um Referenzen zur Unterstützung der Abmahnung zu erlangen, vermuten Juristen im Netz.
Anfrage bleibt unbeantwortet
Die Geschäftsführerin des Essener Unternehmens hat nicht vor, etwas zu unterschreiben oder zu zahlen. Sie vertraut ihrer Anwältin. „Datenschutz ist für uns natürlich ein wichtiges Thema – nicht erst seit Einführung der DSGVO. Da Herr D. aber unserer Meinung nach den Datenschutz missbraucht, überlassen wir das Feld den Juristen.“
Die Kanzlei „Negele, Zimmel, Greuter“ hat übrigens auf die Bitte, die NRZ bei der Recherche zu unterstützen, nicht reagiert. Unbeantwortet blieb somit unter anderem die Frage, ob das Anliegen „Schutz personenbezogener Daten“ lediglich vorgeschoben sei.
„Erhebliche Anzahl Missbräuchlich"
Die neue Datenschutzverordnung (DSGVO), die am 25. Mai in Kraft getreten ist, hat bislang nicht zu einer befürchteten Abmahnwelle geführt. Marc Balke, Datenschutzbeauftrager bei der Industrie- und Handelskammer Ruhr, erklärte, dass aus seiner Sicht von einer Welle keine Rede sein könne.
Gleichwohl ist die Politik für das Thema sensibilisiert. Es würden sich, so die Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen, „die Anzeichen“ mehren, „dass weiterhin eine erhebliche Zahl von Abmahnungen missbräuchlich ausgeprochen wird.“