An Rhein und Ruhr. . Eine mobile Webseite macht ab Ende des Monats die popmusikalische Landschaft zwischen Köln, Düsseldorf, Duisburg und Hagen hör- und erlebbar.
Die Menschen von der Plattenfirma „Kompakt“ gucken etwas irritiert. Warum stehen da plötzlich 20 Leute gestikulierend vor einem doch ziemlich schmucklosen Bürogebäude im Belgischen Viertel, unweit vom Kölner Westbahnhof?
Nun, weil hier, aber nicht nur hier, Musikgeschichte geschrieben wurde. Wer von Minimal Techno spricht, kann von Kompakt als Triebfeder und Plattenlabel nicht schweigen. Und das Land an Rhein und Ruhr hat viel mehr zu bieten, wenn es um die Geschichte der Popmusik geht. Dass diese sich zur Musealisierung eignet, hat Düsseldorf am Beispiel Kraftwerk vorgemacht, ab Ende des Monats wird Hagen mit einer Ausstellung zu „40 Jahren Neuen Deutschen Welle“ folgen.
30 Sekunden Tonschnipsel und Videoclips integriert
Die Webseite "Sound of Urbanana" auf dem Smartphone aufrufen. Sie funktioniert ähnlich wie eine App. Voll bestückt und funktionsfähig sein soll sie zum Ende des Monats.
Sie bietet geführte Rundgänge bzw im Ruhrgebiet eine Rundfahrt. Neben Texten (die auch als Broschüre erscheinen werden) gibt es Videoclips und 30-sekündige Tonschnipsel (Spotify-Kunden können länger lauschen).
Besonders reizvoll und gerade im Ruhrgebiet sinnvoll: die Umkreissuche, die einem zeigt, welcher historischer Popmusik-Ort gerade am nächsten liegt.
Was also ist folgerichtiger, als auch popmusikalische Exkursionen anzubieten in „Urbanana“, dem bananenförmigen Kulturraum von Köln über Düsseldorf quer durchs Ruhrgebiet bis nach Dortmund und Hagen. Oder – übersetzt in Musik: vom Chlodwigplatz, der Keimzelle von Bap, über den Ratinger Hof in Düsseldorf, die Grugahalle in Essen, das Tarmcenter Bochum bis hin zu den Woodland-Studios von Grobschnitt in Hagen?
Eine Idee, die Tourismus NRW wie Musik in den Ohren klingt. Also kann man bald mit einem Smartphone auf musikalische Reise gehen. Genauer: auf drei Reisen. Köln und Düsseldorf haben die Gnade der kurzen Wege, die dem Kulturraum Ruhrgebiet fehlt.
Zwischen Duisburg und Hagen hingegen, so kündigte Urbanana-Macher Jan-Paul Laarmann es an, wird es eine Reise mit dem Regionalexpress sein. Selbst dann muss man noch umsteigen. Dafür aber haben die Geschichten im Ruhrgebiet oft genug noch den Charme der Neuentdeckung.
Gut, dass die Grugahalle nur drei Tage nach ihrer Eröffnung bei Bill Haleys Konzert gleich Teile des Mobiliars einbüßte, weiß der Musikliebhaber noch. Und dass diese Halle als Geburtsort des Rockpalastes Musik- und Fernsehgeschichte geschrieben hat, ebenfalls.
Grugahalle als Wiege des Rockpalastes
Dass aber die Matthäuskirche in Gelsenkirchen-Buer einst in den 60er Jahren zum Tempel der Beatmusik wurde, weil der dortige Pfarrer den Kirchenkeller der modernen Musik öffnete – das wissen vermutlich wenige.
Oder dass die Villa einer Wittener Witwe der Folkszene im Revier Heimstatt wurde und hier ein 17-jähriger Jüngling namens Grönemeyer seine ersten Gesangsversuche unternahm?
Oder dass Duisburg-Ruhrort einst als St. Pauli des Westens galt und hier Udo Lindenberg vom One-Hit-Wonder Benny Quick („Motorbiene“) auf die Frage, ob Popmusiker ein geiler Beruf wäre, erfährt: „Klar, lange Autos, lange Schecks, jede Menge Frauen und Männer.“ Die Folgen sind bekannt.
„Im Ruhrgebiet muss man von Mikroszenen sprechen“
Der Mann, der diese Anekdoten zusammengetragen hat, heißt Ole Löding, Musikjournalist. „Im Ruhrgebiet muss man schon von Mikroszenen sprechen“, sagt er. Immer mal wieder bilden sich da zeitlich und örtlich Schwerpunkte der Musik, und je nach Jahrzehnt und Musikstil gilt mal Duisburg, mal Recklinghausen und mal Hagen als Liverpool des Reviers.
Doch wer glaubt, dass Düsseldorf und Köln es da mal wieder viel leichter haben, irrt: Köln hat zweimal, kurz nach der Wende und um das Jahr 2000, heftig erleben müssen, wie es ist, wenn bedeutende Label, Musiksender und eine Messe wie die Popkomm abwandern.
Und Düsseldorf, so Löding, hat sich immer wieder auch lange kreative Pausen genommen und erst jüngst mit dem Salon des Artists und der oscarnominierten Filmmusik von Hauschka mal wieder aufhorchen lassen.
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Zudem gibt es auch im Ruhrgebiet mit Kreator aus Altenessen und Bohren and the Club of Gore Bands, die weltweit Renommee haben, die in der eigenen Stadt kaum einer kennt. Den Vorteil des Ruhrgebiets fasst Musikjournalist Philip Stratmann so zusammen: „Stell dir vor, Du bist Bochumer und spielst 500 Meter weiter in Essen. Und schon hast Du einen Gig außerhalb der Stadt.“ Ein Gefühl, für das Musiker, die nach Berlin gegangen sind, bis Hamburg fahren müssen.