Von Ausländern bis Asyltourismus. NRZ-Ombudsmann Detlef Schönen schreibt über den Umgang mit Meinungsfreiheit und den Auftrag der Zeitung.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Geschichte schon sehr oft definiert, was Meinungsfreiheit ist und wo ihre Grenzen liegen. Schmähkritik und Ehrverletzungen beispielsweise sind nicht vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt, klar. Ab und an muss man sich aber ins Gedächtnis rufen, was das Gericht immer wieder herausgestellt hat: Meinungsäußerungen müssen nicht wahr sein, ja, sie müssen nicht einmal rational, sie dürfen auch emotional und mitunter sogar durch falsche Tatsachenbehauptungen begründet sein.

Daran will ich erinnern, weil Leser mich manchmal empört fragen, warum die Zeitung dieses oder jenes geschrieben oder abgedruckt hat. Und in der Tat: Es gibt so manche Behauptung, die einer näheren Überprüfung nicht standhält und trotzdem Erwähnung findet.

Es ist historisch falsch, dass Angela Merkel 2015 die Grenzen geöffnet hat, und es wird durch Wiederholung nicht richtiger. Es gibt keinen Asyltourismus, schon laut Definition nicht, und wer dieses falsche Kunstwort benutzt und dazu bemerkt, jeder wisse doch, was gemeint ist, der zielt eben genau darauf ab und nur darauf ab, ein Stimmungsbild zu bedienen.

Und ein Oberbürgermeister, der von krimineller Energie und Migration in die Sozialsysteme spricht und im selben Atemzug die Gesamtzahl von Zugezogenen aus Bulgarien und Rumänien nennt, nimmt wenigstens billigend in Kauf, dass daraus gefolgert wird, alle diese Menschen seien Sozialbetrüger.

Äußerungen müssen nicht richtig sein, um erwähnenswert zu sein, auch die von Politikern nicht. Meinungen können falsch und emotional begründet sein. Das geht manchmal bis an den Rand des Erträglichen.

Ein Leser schrieb vor Kurzem zum Fall des widerrechtlich abgeschobenen Sami A., ein Gericht spreche Recht im Namen des Volkes und müsse sich daher der gefühlten Mehrheitsmeinung des Volkes beugen – ein geradezu schauderhafter Gedanke, denn er bedeutet das Ende von Rechtsstaat und Minderheitenschutz.

Ein anderer Leser adressierte seinen Leserbrief an „die“ Ausländer und verband das mit der Aussage, „wir“ Deutschen hätten inzwischen Angst über „unsere“ Straßen zu gehen – ein nicht weniger irritierendes Gedankengerüst, das nicht weniger falsch ist als das erste, allein schon, weil es in diesem Land und in diesem Grundgesetz „Wir“ und „Uns“-Straßen nicht gibt.

Darf das alles trotzdem sein? Ja, darf es, wenn man die Definition des Bundesverfassungsgerichts heranzieht, die die NRZ in ihrem Kompass nachvollzogen hat.

Aber man muss nicht stillhalten, andere Leser nicht, andere Politiker, andere gesellschaftliche Gruppen – und auch die Zeitung nicht. Die Verpflichtung, umfassend und wahrhaftig zu berichten, schließt mit ein, dem Einsickern falscher Terminologien und Zusammenhänge Mal um Mal mit Fakten zu begegnen.

Meinung darf sein. Tatsachen müssen sein.