Immerath. . Immerath bei Erkelenz muss dem Braunkohle-Tagebau weichen. Der Abriss des „Doms“ hat begonnen. Greenpeace-Aktivisten verzögerten die Arbeiten.
Am Sonntag, als sie mit ein paar hundert Menschen Abschied vom „Immerather Dom“ nahmen, da war Lars Zimmer sehr niedergeschlagen. Heute, an diesem Montagmorgen ist seine Laune besser, und das liegt daran, dass die Bagger mit dem Abriss des imposanten Kirchengebäudes nicht wie geplant beginnen können. „Greenpeace hat den Dom besetzt. Das ist schön“, lächelt Zimmer. Hinter dem Zaun ist die Stimmung nicht ganz so gut. Der Wachschutz und die Leute von RWE schauen griesgrämig drein.
Immerath, erste urkundliche Erwähnung 1144, ist ein Dorf bei Erkelenz. War, muss es besser heißen. Die meisten der früher rund 1500 Einwohner sind fort, viele Gebäude bereits abgerissen. Der Rittersaal, wo früher die Karnevalsveranstaltungen stattfanden, die Dorfkneipe, das Kloster, das Krankenhaus. Alles fort. Die Ursache für den Tod des Dorfes liegt eineinhalb Kilometer östlich von Immerath. Der Tagebau Garzweiler II. Dort fräsen gewaltige Schaufelradbagger des Energieriesen RWE Braunkohle aus der Erde, und der Tagebau frisst sich weiter durch die Landschaft. Ende dieses Jahres wird er Immerath erreichen.
Immerath ist eine Geisterstadt
Um St. Lambertus herum ist nur noch matschiges Ödland. Die Ende des 19. Jahrhunderts gebaute dreischiffige Kirche mit ihren beiden Doppeltürmen, die ihr in der Bevölkerung den Spitznamen „Immerather Dom“ einbrachten, ist ausgeweidet, die Kreuze sind abmontiert, das Fensterglas ausgebaut, der Altar, die Kirchenbänke, vier der sechs Glocken sind in der Kapelle im acht Kilometer entfernten Neu-Immerath, wohin viele Dorfbewohner umgezogen sind. Eigentlich ist dieses steinerne Gerippe auch kein Gotteshaus mehr, seit es vor vier Jahren entwidmet worden ist. Und doch: es war das Zentrum des Dorfes.
Im Immerath leben nur noch wenige Dutzend Menschen. Die meisten Häuser, die noch stehen, sind verbrettert, das Unkraut wuchert in den Vorgärten. Eine Geisterstadt. Einige Bauern sind noch da, um ihre Felder zu bewirtschaften. Lars Zimmer will bis zum Ende bleiben. „Ich bin hier groß geworden, das ist meine Heimat“, sagt er. Seiner Frau und seinen drei Kindern wollte er das Leben hier nicht mehr zumuten, sie sind schon fort nach Neu-Immerath.
Jetzt steht Zimmer an dem schäbigen Bauzaun, an den Menschen Kränze mit Trauerschleifen gehängt haben, und muss trotz des Anlasses ein bisschen grinsen. In den frühen Morgenstunden haben Aktivisten von Greenpeace das Gelände gestürmt, drei haben sich an einen Bagger gekettet, drei andere sind in das Kirchengebäude rein. „Wer Kultur zerstört, zerstört auch Menschen“, steht auf dem riesigen Transparent, das sie an der Außenmauer befestigt haben.
Die Leute von Greenpeace sind Profis, sie wissen, wie man einer Sache möglichst große Aufmerksamkeit verschafft. Ihre Sache ist der Kampf gegen die Nutzung der Braunkohle, für sie der schlimmste Klimakiller. „RWE baggert den Menschen Haus und Hof weg“, schimpft Anike Peters, die Energieexpertin der Organisation. Dabei sei klar, dass ein Kohleausstieg unvermeidlich sei.
Der Protest gegen die Braunkohle wächst
Der Protest gegen die Braunkohle ist groß und breit geworden. Neben Greenpeace sind zahlreiche andere Organisationen dabei, globalisierungskritische wie Attac genauso wie die Umweltschützer vom Bund für Umwelt und Naturschutz. „Es macht mich traurig, wenn ich sehe, wie das Symbol einer uralten Kulturlandschaft vernichtet wird, und es macht mich wütend, wenn das zur Förderung eines Energieträgers geschieht, den wir in Deutschland nicht mehr brauchen“, sagt Dirk Jansen, Geschäftsführer des Bund-Landesverbandes.
Nach Immerath sind heute auch junge Menschen aus dem Hambacher Forst gekommen, dem Waldgebiet weiter südlich, das ebenfalls restlos weggebaggert werden soll. Dort ist der Protest manchmal radikaler. Heute beschränken sich die Vermummten damit, auf ein Gebäude zu klettern, ein bisschen Feuerwerk zu machen und ein Transparent zu zeigen. „RWE ist nichts heilig“, steht darauf.
„Da bin ich geboren worden“
Christel Smilowski hält wenig von den Protesten. „Das nützt doch nichts mehr, es ist doch eh vorbei.“ Die 77-Jährige zeigt die Straße hinunter, „da, sehen Sie, in dem Haus mit dem hellen Schiefer, da bin ich geboren worden.“ Im Dom ist sie getauft worden, da hat sie 1964 ihren Josef geheiratet. Über vierzig Jahre lang haben sie zusammen in ihrem Haus hinter der Kirche gelebt. Vor zehn Jahren sind sie nach Neu-Immerath umgezogen. „Wir haben wenigstens den Namen behalten“, sagt Christel Smilowski. Heute will sie Abschied nehmen. Ihre Augen schimmern feucht, aber das kann auch an dem eiskalten Wind liegen.
Gegen Mittag, da sind die Smilowskis, viele andere Zaungäste und Journalisten schon weg, da greift die Polizei durch. Die Greenpeace-Aktivisten werden in Gewahrsam genommen. Kurze Zeit später beißen sich die Bagger in das alte Kirchengebäude.
Abrissarbeiten: Immerather Dom