Essen. Jedes Jahr schrumpft die Zahl der Buchhandlungen – auch am Niederrhein und im Ruhrgebiet. Die Branche hofft nun auf das Weihnachtsgeschäft.
Papierene Geschenke gehören alle Jahre wieder zu den beliebtesten. Die Hälfte aller Deutschen werden einer aktuellen Umfrage zufolge Bücher verschenken – damit liegt das Buch ganz knapp hinter Gutscheinen, aber weit vor Spielzeug oder Schmuck. Den Handel kann es nur freuen. Das Weihnachtsgeschäft ist für viele kleinere Buchhändler zwischen Essen und Kleve die letzte Hoffnung eines ansonsten eher trüben Jahres 2017: Ein sattes Minus von 2,6 Prozent verzeichnet der stationäre Buchhandel gegenüber dem Vorjahr, bislang jedenfalls.
Rund 6000 Buchhandlungen gibt es derzeit noch in Deutschland. Jedes Jahr werden es ein paar weniger, aus Gründen, die wie in jeder Branche viel mit Internethandel und Konzentration zu tun haben. Das Buchhandelsschwinden ist ein Prozess, der oft still und leise vor sich geht und nicht mit einem großen Aufschrei.
Im kommenden März wird die Buchhandlung Folgner in Essen-Werden schließen, sich auf die Filiale in Kettwig und den Schulbuchhandel konzentrieren. „Meine Schwiegermutter ist 70 Jahre und möchte ein bisschen weniger arbeiten, und ich alleine kann nicht zwei Filialen betreuen“, sagt Buchhändlerin Susanne Folgner. 33 Jahren gab es Folgner in Werden, „uns ist das nicht leicht gefallen, die vielen Stammkunden hier mochten wir sehr“. Das Ladenlokal wird neu vermietet, aber branchenfremd; künftig aber wird die ebenfalls alteingesessene Buchhandlung Schmitz wohl die einzige im Stadtteil bleiben.
Sehr persönliches Engagement
Vor einigen Monaten hat der Börsenverein des Deutschen Buchhandels eine Online-Plattform gestartet, die den Händlern die Nachfolge-Suche erleichtern soll: „Die Händler haben da große Schwierigkeiten“, sagt Pressesprecher Thomas Koch. „In diesem Jahr zählen wir rund 100 Buchhandlungen, die geschlossen haben – und 50, die neu eröffnet haben.“
Denn das Prinzip Familienbetrieb, das sehr persönliche Engagement prägt die Landschaft. Auch im Ruhrgebiet und am Niederrhein. Die Buchhandlung Hintzen am Rand der Klever Innenstadt existiert schon seit 1925. Matthias Hintzen führt das Geschäft in der dritten Generation. Wenn Hintzen von Amazon spricht, nennt er den Online-Händler nur den „einen Riesen“. Natürlich hat dieser Riese sein Geschäftsmodell angegriffen – aber Hintzen hat sich darauf eingestellt. „Wir haben unsere Lücke gefunden“, sagt er. Das Programm der Klever Buchhandlung ist anspruchsvoll, mit vielen Titeln von kleinen Verlagen, einem Antiquariat. Hintzens Mitarbeiter lieben Bücher – und wissen vermutlich mehr über Literatur als der Amazon-Algorithmus es jemals könnte. Zudem setzt Hintzen auf die Nähe zu den Niederlanden. „Wir haben viele niederländische Kunden, die bei uns deutschsprachige Bücher kaufen“, sagt er. Im Nachbarland beliefert Hintzen auch Institute der Nijmweger Universität – eine stabiles Geschäft.
Büchertische in den Schulen
Andere setzen auf Lesungen und Buchvorstellungen oder auf die Arbeit mit Kindergärten und Schulen: „Wir sind hier im Stadtteil bei vielen Elternabenden und Schulfesten mit einem Bücherstand dabei“, erzählt etwa Karin Tator von den „Bücherträumen“ im Mülheimer Stadtteil Broich. Träume, die so aussehen: hundert Quadratmeter, zwei Inhaberinnen, eine Halbtagskraft, eine gemütliche Wohnküche – und der Satz: „Man muss schon viel tun.“
Viel getan hat auch Kathrin Olzog. Vor vier Jahren gründete sie die „Barbara Buchhandlung“ in Moers. „Gegen den Trend“, wie sie sagt. Die 100 000-Einwohner-Stadt war zu dem Zeitpunkt sozusagen literarisch unterversorgt – nur noch eine große Kette verkaufte Bücher in der Stadt. Heute beschäftigt Olzog mehrere Mitarbeiterinnen. Ihr Erfolgsrezept? „Es ist eigentlich einfach. Wir sind freundlich und bieten den Kunden einen guten Service.“ Ein Beispiel: Bücher lassen sich per WhatsApp direkt übers Smartphone bestellen.
Viele kleine Buchhandlungen wollen sich über ihr Sortiment von den großen Ketten und den Internetriesen unterschieden. Ganz vorbei kommen sie an den Bestsellerlisten meist nicht – sie prägen schließlich die Hochs und Tiefs der Branche. Dan Browns „Origin“ und Daniel Kehlmanns „Tyll“ haben literarisch nichts gemeinsam, umsatztechnisch aber in der Belletristik den Oktober 2017 auf ein Plus von 1,1 Prozent gegenüber dem Vorjahres-Oktober gehoben. Im Bereich Kinderbuch hingegen tat sich im gleichen Zeitraum ein Minus von 9,5 Prozent auf: Denn 2016 hatten JK Rowlings Theater-Buch um das „Verwunschene Kind“ und Cornelia Funkes „Drachenreiter“-Fortsetzung einen Kaufrausch ausgelöst und die Zahlen nach oben getrieben.
Ein Drittel ohne Online-Shop
Die Hälfte aller Umsätze der Buchbranche verbucht noch immer der stationäre Handel, neben kleineren Vertriebswegen – von Tankstellen bis zum Direktverkauf der Verlage – gehen inzwischen rund 20 Prozent aufs Konto der großen Internethändler. Das große Schreckgespenst des Ebooks, das noch vor Jahren für Katastrophenszenarien verantwortlich zeichnete, bleibt auch 2017 bei niedlichen fünf Prozent des Gesamtumsatzes. Zu denken aber gibt eine andere Zahl, die Börsenvereins-Pressesprecher Koch verrät: „Rund zwei Drittel aller Buchhändler betreiben auch einen Online-Shop“, sagt er. Und sagt damit auch: Ein Drittel hat noch keinen – und verspielt damit womöglich eine Chance.