An Rhein und Ruhr. . Weil die Felder in den Niederlanden ausfallen, wird die Gasart umgestellt. Thyssengas-Chef zur NRZ: Gas kann auch hocheffizient Strom erzeugen.
Als Bürger sieht man nur die Baustellen, in denen neue Pipelines verlegt werden. Dahinter verbergen sich große Veränderungen in der Gaswirtschaft. Die NRZ sprach darüber mit Bernd Dahmen, dem Geschäftsführer von Thyssengas. Das Unternehmen hat seinen Sitz in Duisburg und in Dortmund.
Wo kommt das Gas her, das durch ihre Leitungen fließt?
Bernd Dahmen: Wir stehen vor großen Veränderungen im Gasmarkt. 2015 kamen 36 Prozent des deutschen Bedarfes aus den Niederlanden (29%) und heimischen Quellen (7%). Die Förderung von L-Gas aus deutschen und niederländischen Quellen ist jedoch stark rückläufig und muss durch H-Gas ersetzt werden. Die Situation hat sich in den vergangenen Jahren zusätzlich verschärft, als festgestellt wurde, dass die Förderung im größten Feld der Niederlande dort „Erdbeben“ verursacht. Es sind ähnliche Effekte, die man vom Kohleabbau her kennt.
Auch interessant
Dahmen: Um die Lieferung von Erdgas in den noch mit L-Gas versorgten Gebieten zu sichern, stellen die Fernleitungs- und Verteilnetzbetreiber ihre Gebiete auf H-Gas um. Dies kommt aktuell meist aus Norwegen und Russland. Künftig wird auch mit einem steigenden Anteil an LNG gerechnet. Um die Versorgung der Verbraucher zu gewährleisten, muss die Gasbeschaffenheit im gesamten Netz umgestellt werden. Dazu werden neue Gasleitungen verlegt und neue Verdichterstationen gebaut.
Und welches ist derzeit das größte Projekt?
Dahmen: Das ist der Bau der 220 Kilometer langen Zeelink-Transportleitung von Eynatten an der Grenze zu Belgien über Krefeld, den Niederrhein bis nach Legden im Münsterland. Dieses Transportsystem werden später OGE (Open Grid Europe, Essen) und Thyssengas betreiben. Das Raumordnungsverfahren wurde abgeschlossen, aktuell informieren die Kollegen der OGE in Bürgerdialogen über den geplanten Leitungsverlauf. Zeelink garantiert nicht nur Versorgungssicherheit. Es schafft auch die Voraussetzungen für einen Wettbewerb zwischen LNG aus aller Welt und Pipelinegas aus Russland und Norwegen.
Dahmen: Wir gehen von einer Verlagerung der Gasströme ab etwa 2025 aus und rechnen mit zusätzlichen Gasmengen, die von Russland nach Westeuropa fließen. Dann würde eine Verbindung des von OGE und uns betriebenen Zeelink-Transportsystems zur Ostseeleitung „Nord Stream“ dieser Entwicklungen entgegenkommen. Mit weiteren geplanten Pipelines im Osten Deutschlands entstünde bei einer stärkeren Ausrichtung russischer Gasströme nach Nordwesteuropa eine deutsche Erdgasdrehscheibe.
Was heißt das am Niederrhein?
Dahmen: Von Mai bis Juli wird Thyssengas das erste von 22 Gebieten in NRW umstellen. Im Gebiet „Rees-Anholt-Isselburg“ versorgen wir zwei Industriekunden direkt sowie die Kunden in den Verteilnetzen der Stadtwerke Rees und der Gelsenwasser Energienetze. Mit 10 000 umzustellenden Endgeräten ist das Gebiet verhältnismäßig klein und für uns quasi ein Pilotprojekt. Wir trennen das Umstellungsgebiet von der aus den Niederlanden kommenden L-Gas-Leitung ab und versorgen es stattdessen aus unserem bestehenden H-Gas-System über Borken und Bocholt.
Generell: Wie sehen Sie die Zukunft für Gas - auch mit Blick auf die Energiewende?
Dahmen: Im Zuge der Energiewende wandelt sich die deutsche Energielandschaft grundlegend. Nach den Zielen der Bundesregierung soll der Ausstoß von Treibhausgasen bis 2050 drastisch gesenkt werden. Das geht nur mit innovativen technischen Lösungen, die volkswirtschaftlich sinnvoll sind und sich möglichst umweltschonend realisieren lassen. Besonders vielversprechend ist die Systemlösung Power-to-Gas. Die Idee dahinter: Erneuerbaren Strom zu verwenden, um Wasserstoff bzw. Methan herzustellen. Dieses regenerative Gas kann transportiert oder gespeichert und hinterher unterschiedlich eingesetzt werden. Klimaneutral erzeugtes regeneratives Gas kann durch Zugabe von CO2 in Methan verwandelt werden. Dieses kann mit modernen Gasgeräten wieder punktgenau abrufbar Wärme und gleichzeitig hocheffizient dezentral Strom erzeugen. Kurz: Auf diese Art können die Verbraucher existierende Anlagen klimaneutral weiterbetreiben und sie werden nicht von heute auf morgen unbrauchbar und wertlos.
Gibt es weitere Vorteile?
Dahmen: Wir hätten zudem so einen regenerativen Kraftstoff: Entweder direkt für den Betrieb von Brennstoffzellen im Elektroauto, die statt Batterien den Strom für den Antrieb liefern. Oder es lädt nach Umwandlung in klimaneutralen Strom batteriebetriebene Autos auf. - Zusätzlich stünde der aus erneuerbarer Energie produzierte Wasserstoff der chemischen Industrie zur Verfügung und würde dort aus fossilem Erdgas erzeugten Wasserstoff ablösen. Wir bei Thyssengas glauben, dass die Gastransportnetze und die Power-to-Gas-Technologie der Schlüssel zur Dekarbonisierung sein werden.
Ihr Wunsch an die Politik?
Dahmen: Einen Runden Tisch, an dem alle Beteiligten - Netzbetreiber, Verbraucher, Händler, Umweltverbände, Politik - nach einer konsensfähigen Lösung suchen. Ich halte es da mit IG BCE-Chef Michael Vassiliadis. Der mahnte vor ein paar Tagen, die Energiewende nicht zu einem „semi-religiösen Projekt“ zu machen, sondern wieder Verhältnismäßigkeit herzustellen.