Bonn. . Hauptangeklagter im Prozess um den Tod des 17-Jährigen aus Bad Godesberg leugnet Tatbeteiligung. Mutter des Opfers als Nebenklägerin dabei
So einen Auftrieb hat auch das Landgericht Bonn schon lange nicht mehr erlebt. Der große Saal S011 ist bis auf den letzten Platz gefüllt, Dutzende Kameras sind aufgebaut, und mitten im Blitzlichtgewitter steht eine große Frau mit dunklen Haaren und sorgfältigem Make-up. Es ist Denise P., die Mutter von Niklas, um dessen Tod es hier geht. Sie ist eine der beiden Nebenklägerinnen. Und sie erträgt alles mit großer Fassung. Doch wie es in ihr drinnen aussieht, als die Angeklagten in den Saal geführt werden, kann man nur ahnen.
Modische Frisuren, lässige Kleidung
Die beiden jungen Männer mit modischen Frisuren und lässiger Kleidung sitzen ihr unbewegt gegenüber. Der mutmaßliche Haupttäter Walid S. (21) soll den 17 Jahre alten Niklas P. am 7. Mai 2016 kurz nach Mitternacht auf dem Nachhauseweg von einem Konzert in Bad Godesberg zu Boden geschlagen und getreten haben, Roman W. (21) soll Niklas Begleiterin geschlagen haben. Beide sollen auch an anderen Gewalttaten beteiligt gewesen sein. Körperverletzung mit Todesfolge wirft die Staatsanwaltschaft Walid S. vor, doch der bestreitet die Tat.
Dabei war die Staatsanwaltschaft bei der Festnahme von Walid S. Wochen nach der Tat zunächst sogar von Totschlag ausgegangen. Doch ein rechtsmedizinisches Gutachten hatte ergeben, dass Niklas Gefäße im Gehirn vorgeschädigt waren. Auslösend für seinen Tod sei daher der Schlag gewesen, der im Normalfall keine tödlichen Folgen gehabt hätte – deshalb also die Anklage auf Körperverletzung mit Todesfolge.
Alkohol und Marihuana
Doch auch die will der Hauptangeklagte nicht begangen haben, das lässt er vor Gericht am knapp 20 Minuten dauernden ersten Prozesstag von seinem Verteidiger vorlesen. Nein, nicht mal am Tatort will er gewesen sein. Im Gegenteil, er habe jene Nacht, als Niklas nur wenige hundert Meter weiter mit einer Gruppe junger Männer aneinandergeraten war, im Kurpark in Bad Godesberg mit seiner Freundin und vielen anderen gefeiert, habe Alkohol und Marihuana zu sich genommen. Nur einmal sei er zum Einkaufen zur Tankstelle gegangen, um danach wieder in den Park zurückzukehren.
Wie Zeugenaussagen zustande kommen, die ihn am Tatort gesehen haben wollen, könne er sich nicht erklären. Und jene belastende Jacke, die die Polizei mit Niklas Blutspuren bei ihm gefunden habe, würde nicht ihm gehören, das sei ja bereits bewiesen.
Gemurmel im Zuschauerraum: „Nicht mal den Mumm, zu der Tat zu stehen, hat er....“, raunt einer. Der Unmut kommt nicht von ungefähr. Viele im Saal sind aus Bad Godesberg angereist, unter ihnen ist auch der Godesberger Dechant Dr. Wolfgang Picken. Der Seelsorger hat Niklas Mutter nach der Gewalttat betreut und begleitet sie auch jetzt durch den Prozess.
„Von der Politik im Stich gelassen“
Picken stand an der Spitze einer breiten Bewegung Bad Godesberger Bürger, die es schon länger nicht mehr hinnehmen wollten, dass ihr Stadtteil von Jugendgangs unterschiedlichster Herkunft unsicher gemacht wird. Man fühle sich, wie er nach Niklas Tod sagte, „von der Politik in Stich gelassen“.
Denn die Tat im Mai 2016 hatte nicht nur wegen ihrer Brutalität bundesweites Aufsehen erregt. In der Vergangenheit war es zu ähnlichen Übergriffen gekommen, die aber kaum Schlagzeilen gemacht hatten. Niklas Tod hatte eine Diskussion über mangelnde Polizeipräsens, sogenannte „No-Go-Areas“ in dem einstigen Diplomatenviertel und die soziale Ungleichheit innerhalb des Stadtteils ausgelöst. Das gemauerte Rondell, an dem Niklas verprügelt wurde, trennt das Villenviertel in Bad Godesberg mit seinen Eliteschulen und schicken Büros von der in Teilen verödeten Innenstadt, zu der übrigens auch der einst so schöne Kurpark gehört, in den sich die Godesberger nach eigenen Aussagen nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr trauen.
Niklas Beerdigung und die nachfolgende Fronleichnamsprozession gerieten 2016 zu einer Demonstration, sich der Probleme der Jugendkriminalität anzunehmen. Dabei blieben die Godesberger besonnen. Rechte Demonstranten, die Niklas Tod politisch ausschlachten wollten, wurden ausgebuht. In Folge nahm in Bonn ein „runder Tisch gegen Jugendgewalt“ seine Arbeit auf, die Polizeipräsenz in Bad Godesberg wurde verstärkt.
17 Verhandlungstage
Für Dechant Picken hat nun das Gericht die schwierige Aufgabe, „die Wahrheit zu suchen, bevor jemand verurteilt wird“, sagte er gestern am Rande des Prozesses. Der Anwalt der Nebenklage, Dr. Dirk Simon, wünscht sich für Niklas Mutter, „dass diejenigen, die es waren, auch sagen, dass sie es waren. Rachegelüste hat sie nicht“.
17 Verhandlungstage hat die Kammer angesetzt. Da die Angeklagten den „Komplex Niklas“ leugnen beziehungsweise dazu schweigen, läuft alles auf einen Indizienprozess hinaus. Mit Spannung werden die Zeugenaussagen erwartet. Ein Zeuge, der gegen Roman W. bei der Polizei ausgesagt hat, ist nachher von diesem bedroht und verprügelt worden, das gab Roman W. gestern vor Gericht weitestgehend zu.
Niklas Freundin schließlich, die zweite Nebenklägerin, will sowohl Roman W. als auch Walid S. erkannt haben.