Bottrop. . 16 Jahre hat seine Frau gegen den Krebs gekämpft, die letzten Monate im Krankenhaus. Sie starb im Hospiz, da war sie 47 Jahre alt. Seither leben der Ehemann, der nun ein Witwer ist, und sein Sohn mit der Trauer; sie waren darin, was man wohl „stabil“ nennt – bis sich ein neues, „ein riesiges Loch im Boden“ auftat: In der WAZ las der Bottroper vom Apotheker in seiner Stadt, der Krebsmedikamente gestreckt haben soll. Medikamente, die auch seine Frau bekam, mehr als ein Jahr lang, er hat die Abrechnungen noch. Von eben jenem Pharmazeuten, der seitdem in Untersuchungshaft sitzt.

16 Jahre hat seine Frau gegen den Krebs gekämpft, die letzten Monate im Krankenhaus. Sie starb im Hospiz, da war sie 47 Jahre alt. Seither leben der Ehemann, der nun ein Witwer ist, und sein Sohn mit der Trauer; sie waren darin, was man wohl „stabil“ nennt – bis sich ein neues, „ein riesiges Loch im Boden“ auftat: In der WAZ las der Bottroper vom Apotheker in seiner Stadt, der Krebsmedikamente gestreckt haben soll. Medikamente, die auch seine Frau bekam, mehr als ein Jahr lang, er hat die Abrechnungen noch. Von eben jenem Pharmazeuten, der seitdem in Untersuchungshaft sitzt.

„Es zieht einem den Boden unter den Füßen weg“, sagt der Witwer, der seinen Namen nicht nennen will, um seinen Sohn zu schützen. Diese Fragen, die die beiden nun quälen: „Was wäre, wenn?“ Wenn die Frau verdünnte Medizin bekommen hat, ist sie deshalb an jenem Tag gestorben? Hätte es, andernfalls, eine Stabilisierung geben können, noch ein paar Monate, „etwas mehr Lebenszeit“? Es ist ja „wie eine Lotterie“, sagt der Mann. Vielleicht hat sie die richtige Dosis bekommen, vielleicht nicht, vielleicht mal mehr oder weniger. . .

Es gibt viele, die so fragen, seit bekannt wurde, dass die Staatsanwaltschaft Essen ermittelt und warum. Seit der 46-jährige Apotheker in Haft sitzt wegen des Verdachts auf Abrechnungsbetrug und Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz. Seit man die Namen der Wirkstoffe kennt, seit man hörte, der Pharmazeut habe auch nicht hygienisch gearbeitet. In Straßenkleidung soll er in den sensiblen Reinraum gegangen sein und Infusionen, die ungenutzt zurückkamen, weitergereicht haben, statt sie zu vernichten. Oberstaatsanwältin Anette Milk spricht von mindestens 40 000 Einzelfällen in vier Jahren. Wie viele Krebskranke betroffen sind? „Sicher Tausende“, vermutet der Witwer aus Bottrop.

Bei der eigens eingerichteten Hotline in Bottrop haben sich bislang 250 Anrufer gemeldet. „Dabei kommt es auch zu sehr emotionalen Momenten“, sagt Stadtsprecher Andreas Pläsken. Die meisten Verunsicherten aber wenden sich, wie auch der Witwer, zunächst an ihren Arzt. „Sie stehen auch auf der Liste“, sagte man ihm am Telefon, der Onkologe war bereits dabei, Patienten und Angehörige zu informieren. Für die, „die noch leben“, glaubt der verwitwete Vater, „ist die Not noch größer: Sie wollen wissen: Wurde ich richtig behandelt? Die haben Todesangst!“

250 Anrufer bei der Hotline

Bei ihm selbst ist „ganz, ganz viel Traurigkeit“ wieder hochgekommen in den vergangenen Tagen, schlimmer aber ist „die unheimliche Wut“. Nicht mehr auf die Krankheit, die als Brustkrebs begann und Knochen, Leber und Lunge befiel. Es ist jetzt Wut auf eine Person. Unverständlich für die Hinterbliebenen, wie ein Mann, dessen „erstes Ziel es sein sollte, Menschen zu helfen“, der sich in seiner Stadt ausgerechnet für das Hospiz engagierte, so gehandelt haben könnte – aus finanziellen Motiven! „Ich würde eine harte Bestrafung natürlich begrüßen.“

Nur, wofür? Zwar ermittelt die Staatsanwaltschaft auch in Richtung Körperverletzung, womöglich mit Todesfolge, zu beweisen wäre aber jeder Einzelfall: „Wann hat welcher genau zu bezeichnende Patient am soundsovielten das und das bekommen – und deshalb ging es ihm schlechter“, zählt Oberstaatsanwältin Milk auf, all’ das sei „schwierig zu belegen“. Und überhaupt erst herauszufinden. „Manche bekamen ihr Medikament rezeptgemäß, andere nicht, wieder andere teilweise.“ Zumal sich, gerade bei Krebs, Mediziner schwer täten, genau zu sagen: Daran und daran hat es gelegen.

„Man wird das nicht nachweisen können“, ahnt auch der Bottroper Witwer. Die Ungewissheit ist für ihn das Schlimmste, wird es bleiben. Oder eher: das Wissen, dass er auf seine Fragen wohl nie eine Antwort bekommen wird.