An Rhein und Ruhr. . Betroffene berichten von Beleidigungen und Gewalterfahrungen. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft rät zu „Null Toleranz“ und will eine breite Debatte

Valentino Tagliafierro hat es selbst erlebt. Als der Rettungssanitäter und seine Kollegen einer bis zur Besinnungslosigkeit betrunkenen Frau helfen wollten, ging das Ganze deren Freund nicht schnell genug. Erst: hässliche Worte. Dann: ein Schlag in den Nacken. „Und zum Schluss wurden wir aus der Wohnung rausgetreten“, erzählt der Feuerwehrmann. Nur ganz kurz berichtet er von Beleidigungen, die seine Kollegen am Telefon in der Leitstelle hinnehmen müssen, wenn ein Rettungswagen noch nicht da ist oder sonst was nicht passt, Alltag eben.

Noch mehr Alltag: Michael Pfeifer, Bereichsleiter im Duisburger Jobcenter berichtet, dass in seiner Einrichtung in diesem Jahr schon 121 Hausverbote verhängt wurden. Meist wurden Mitarbeiter von „Kunden“ bedroht oder beleidigt oder es wurde Mobiliar demoliert. 33 Strafanzeigen. Noch nicht allzu lange her: Weil ein Mitarbeiter mit einem Schlagstock bedroht wurde, rückte die Polizei aus. In einem anderen Fall gab es „Amokalarm“, weil angeblich ein Mann mit einem Messer gesehen wurde: „Amokalarm ist bedrückend“, sagt Pfeifer. Mitarbeiter schließen sich dann im Büro ein, bis die Polizei die Lage endgültig auflöst: „Das ist mitunter erst nach Stunden der Fall.“

Mit Eisenstange verprügelt

In NRW läuft noch bis heute einschließlich die von der Landesregierung ausgerufene „Woche des Respekts“. Bei einer Veranstaltung des Beamtenbundes (DBB) berichteten Betroffene und Gewerkschaftsvertreter gestern von Gewalt- und Bedrohungserfahrungen im Behördenalltag, aber auch vom häufig hilflosen Umgang damit. Zu berichten gab es viel, sehr viel. „Beschäftigte des öffentlichen Dienstes werden zunehmend Opfer von Gewalt“, klagte DBB-Landeschef Roland Staude. Mehrfach wurde auf die Knöllchen-Schläger in Düren verwiesen, wo vor wenigen Tagen zehn Polizisten teilweise schwer verletzt wurden. Noch ein dramatischer Fall: Mitte Oktober prügelte ein Landwirt im Kreis Wesel mit einer Eisenstange auf Mitarbeiter des Kreisveterinäramtes ein, traf offenbar auch gezielt den Kopf einer Mitarbeiterin. Die Polizei wertet das als versuchten Mord.

Was Leute wie den Feuerwehrmann Tagliafierro fassungslos macht: „Es werden ausgerechnet Menschen angegriffen, die eigentlich zum Helfen gekommen sind.“ Auch

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Duisburger Oberbürgermeister Sören Link (SPD) hat das beobachtet. „Menschen, die den Staat repräsentieren, werden mitunter nicht als Partner oder Helfer angesehen, sondern als Gegner.“ Die Stadt Duisburg und andere öffentliche Arbeitgeber versuchen, ihre Leute zu schützen (etwa durch Sicherheitspersonal in bestimmten Einrichtungen) oder zu rüsten (z. B. durch Deeskalationstraining). Wichtig: „Wir bringen jeden Fall zur Anzeige.“ Null Toleranz.

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft sieht es genauso: „Auf meinen Internetseiten toben sich viele Leute aus, das ist nicht immer lustig.“ Sie bringe alle strafrechtlich relevanten Fälle zur Anzeige. Bei der Veranstaltung in Duisburg versprach Kraft, dass die „Woche des Respekts“ in NRW keine einmalige Veranstaltung bleibe. Die SPD-Politikerin beklagte, dass sich gesellschaftlich Grenzen verschoben hätten. „Da müssen wir gegenhalten“, ist Kraft überzeugt.

Null Toleranz, alles zur Anzeige bringen: In der Praxis stößt das an Grenzen. Ein Vertreter der Gewerkschaft der Lokführer (GdL) wies darauf hin, dass ein Zugführer schwerlich genug Zeugen finde, wenn er im abfahrbereiten Zug vom Bahnsteig aus beleidigt werde. Bitter beklagt wurde bei der Veranstaltung auch, dass Anzeigen oft eingestellt würden und falls es doch zum Prozess komme – komme es vor, dass Beschäftigte ohne Unterstützung des Arbeitgebers in die Verhandlung gingen.