Essen. Bei winterlichen Verhältnissen sind M+S-Reifen in Deutschland Pflicht. Autofahrer grübeln: Brauche ich Winterreifen oder tun es auch Ganzjahresreifen?

Lange hat es gedauert, doch jetzt streckt der Herbst seine Fühler zu Rhein und Ruhr aus: Die Nächte werden kälter, die Schneefallgrenze sinkt und Wetterexperten haben das Wort Graupelschauer bereits in den Mund genommen. Für viele Autofahrer ein Zeichen, dass es Zeit für den Reifenwechsel wird. Doch für wen sind Winterreifen überhaupt sinnvoll? Fährt man am Niederrhein mit Ganzjahresreifen nicht besser und vor allem günstiger?

Autofahrer grübeln nicht erst seit der Einführung der Winterreifenpflicht im Dezember 2010 über die beste Lösung. Die Straßenverkehrsordnung besagt, dass bei Glatteis, Schneeglätte, Schneematsch, Eis- oder Reifglätte nur mit Reifen gefahren werden darf, die eine M+S-Markierung (Matsch und Schnee) tragen. Wer gegen die Vorschrift verstößt, riskiert ein Bußgeld von 60 Euro und einen Strafpunkt in Flensburg. "Bei Behinderung des Verkehrs erhöht sich das Bußgeld auf 80 Euro", erläutert ADAC-Techniker Heinz-Gerd Lehmann.

Was spricht gegen Ganzjahresreifen?

Herbstzeit ist Reifenwechselzeit: Bei den Reifenhändlern arbeiten die Mechaniker im Akkord. Um einen schnellen Termin muss gekämpft werden. Doch ist der Wechsel überhaupt sinnvoll? Die Antwort fällt für den Sauerländer oder Skiurlauber naturgemäß anders aus als für  Menschen am Niederrhein oder im Ruhrgebiet. 18,5 Prozent der Deutschen vertrauen bereits sogennannten Ganzjahresreifen, heißt es beim ADAC. Auch die sind mit der M+S-Markierung gekennzeichnet, erfüllen also die Winterreifenpflicht. Ihr großes Plus: Ein teurer zweiter Satz Reifen und der halbjährige Wechsel bleiben ersparrt.

Reifen von Neuwagen müssen seit November 2014 laut EU-Reglement mit Reifendrucksensoren ausgestattet sein. Das geht ins Geld - und zwar doppelt, da Sommer und Winterreifen mit dem Überprüfungs-System ausgerüstet sein müssen. Vielleicht auch ein Grund dafür, dass die Nachfrage nach den Ganzjahresreifen wächst, wie Michael Neidhart berichtet, Geschäftsführer beim Premio Reifenservice Schulte Kellinghaus in Oberhausen.

Ein Rückschlag für die Befürworter der Ganzjahresreifen ist allerdings der jüngste Testbericht des ADAC. Dabei erhielten nur zwei der sieben Ganzjahresreifen die Note befriedigend. Heinz-Gerd Lehmann und Michael Neidhart bezeichnen die Reifen als "Kompromiss". "Für Kleinwagen und Zweitwagen sind sie eine Alternative. Für SUVs und andere große Fahrzeuge empfehlen wir sie nicht", sagt Neidhart. Sind die Ganzjahresreifen also nicht fit für einen echten Wintereinbruch? Auf einigen Modellen ist neuerdings ein Bergkristall-Symbol abgebildet. Das bedeutet, dass sie unter winterlichen Verhältnissen getestet wurden. ADAC-Mann Lehmann bleibt jedoch skeptisch: "Diese Reifen sind lediglich wintertauglicher. Einen guten Winterreifen können sie nicht ersetzten." Der Experte rät nur Autofahrern zu Ganzjahresreifen, die im Härtefall auf ihren fahrbaren Untersatz verzichten können.

Sommer- statt Winterreifen: Zahlt die Versicherung bei einem Unfall?

"Die Kfz-Haftpflichtversicherung übernimmt den Schaden des Unfallopfers auf jeden Fall, auch wenn der Unfall-Verursacher mit Sommerreifen unterwegs war", berichtet Kathrin Jarosch, Sprecherin des Gesamtvereins der Deutschen Versicherer (GDV). Schäden am eigenen Wagen sind zudem über die Vollkaskoversicherung abgedeckt. Es gibt jedoch eine wichtige Ausnahme: "Wenn der Autofahrer vor Fahrtantritt oder während der Fahrt hätte erkennen müssen, dass Sommerreifen angesichts der Straßenverhältnisse völlig ungeeignet sind und es aufgrund der unzureichenden Bereifung zu einem Unfall kommt, kann die Versicherungsleistung anteilig gekürzt werden", führt Jarosch aus.

Wann ist es Zeit für einen Reifenwechsel?Verkehr

"Wenn die Temperatur dauerhaft unter sieben Grad fällt, sollte man Winterreifen aufziehen lassen", erklärt Reifenhändler Michael Neidhart. Ein weitverbreiteter Merksatz empfiehlt, Winterreifen von O bis O, also von Oktober bis Ostern, zu fahren. Dieser Vorgabe folgen auch die Empfehlungen des ADAC und des Gesamtvereins der Deutschen Versicherer.

Wie lange halten sich meine Winterreifen?

Spätestens nach acht Jahren sind Winterreifen hin - das ist die Meinung von ADAC-Experte Heinz-Gerd Lehmann. Wichtigster Indikator für den Zustand der Reifen ist die Profiltiefe. "Die sollte nicht unter vier Millimeter betragen", sagt Lehmann. Gesetzlich ist zwar nur eine Mindestprofiltiefe von 1,6 Millimetern vorgeschrieben, unterhalb der Vier-Millimeter-Grenze würde die Traktion aber deutlich nachlassen. Deshalb gelten in Österreich alle Pneus unter diesem Wert nicht als Winterreifen.

Wichtig für die Eigenschaften der Winterreifen ist auch die Gummimischung. Die Zusammensetzung der Winterreifen ist deutlich weicher als die der Sommerreifen. So verzahnen die Reifen sich bei niedrigen Temperaturen und Reifglätte besser mit der Fahrbahn. Das Ergebnis: Untersuchungen haben ergeben, dass bei Tempo 50 auf einer schneebedeckten Fahrbahn der Bremsweg mit Sommerreifen doppelt so lang ist wie mit Winterreifen.