Düsseldorf. . Kerim Marc B. schloss sich dem IS an – aber gekämpft habe er nicht, beteuert er. Das Gericht glaubt ihm nicht und verurteilt ihn zu langer Haft.

Der bullige junge Mann mit dem schwarzen Bart und der Glatze versteckt sein Gesicht hinter einem Aktenordner, als die Kameras auf ihn gerichtet sind. Früher war Kerim Marc B. nicht so kamerascheu. Es gibt Fotos von ihm, auf denen er mit einem Sturmgewehr posiert. Entstanden sind sie in Syrien, wo er als Märtyrer im Dschihad sterben wollte.

Fast sieben Jahre Haft für Terror-Mitgliedschaft

Am Donnerstag wurde der 23-Jährige vom Oberlandesgericht in Düsseldorf zu sechs Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Wegen der Mitgliedschaft in der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS).

Der Weg in den Dschihad beginnt für den gebürtigen Dortmunder in Kranenburg an der niederländischen Grenze. Dort wächst Kerim Marc B. als Sohn einer muslimischen Türkin und eines christlichen Niederländers auf. Das der Mann nicht sein leiblicher Vater ist, erfährt er erst spät, mit 17.

Schon früh wendet sich Kerim, der Junge aus einem säkularen Elternhaus, dem Islam zu. Auf eine radikale Art und Weise. Lehrer an der Kranenburger Hauptschule, die er besuchte, erinnern sich, dass er in der neunten Klasse eine aus Afghanistan stammende Lehrerin aufforderte, ein Kopftuch zu tragen und dass seine Mitschüler ihn „Osama bin Laden“ nannten. 2009 und 2010 besuchte er eine Moschee in Kleve. Den Gemeindemitgliedern fällt seine beginnende Radikalisierung auf, sie konfrontieren ihn damit. Vergebens.

Bei „Lies!“-Kampagne mitgemacht

Im Frühjahr 2010 besucht B. in Duisburg ein Seminar des radikalen Predigers Abu Dujana, nimmt später an Koran-Verteilaktionen der „Lies!“-Kampagne um den Salafisten Ibrahim Abou-Nagie teil, gerät 2011 in das Umfeld der 2012 verbotenen dschihadistischen Organisation Millatu Ibrahim.

Warum sich der junge Mann so schnell radikalisierte, darauf hat das Oberlandesgericht keine Antwort. B. bezeichnet vor Gericht das Verhältnis zu seinen Eltern als schlecht, seine früheren Weggefährten sagen der NRZ, er habe „viel Wut im Bauch gehabt“, nach Halt, nach Gemeinschaft gesucht.

Dieses Foto stellte Kerim Marc B. von sich ins Internet. Es wurde in Syrien aufgenommen.
Dieses Foto stellte Kerim Marc B. von sich ins Internet. Es wurde in Syrien aufgenommen. © Archiv

Im August 2011 zieht B. nach Düsseldorf. Knapp vier Monate später, so das Oberlandesgericht, will er das erste Mal nach Syrien, der Versuch scheitert, weil ihn ein Freund nicht zum Flughafen fährt. Im März 2013 gelingt es ihm, obwohl sein Reisepass mittlerweile eingezogen worden ist. Von Amsterdam fliegt B. in die Türkei, von dort aus schlägt er sich nach Syrien durch. Anfang Oktober leistet er den Treueeid auf Abu Bakr al-Bagdadi, den Führer des IS.

Das räumt Kerim Marc B. ein. Er will aber nicht für den IS gekämpft haben, sondern in der Region Aleppo lediglich gereist sein, quasi als Tourist. Das nimmt ihm das Gericht nicht ab. B. habe eine Art „Live-Berichterstattung“ aus dem Kampfgebiet geliefert, in Telefonaten, Einträgen in sozialen Medien, Chats mit Freunden, der Mutter und der Verlobten, einer Konvertitin, mit der er nach islamischen Recht verheiratet ist.

Mordanklage fallengelassen

B. berichtet von Gefechten, an denen er unter dem Namen „Abu Zulfikar“ teilgenommen hat, vom Wachdienst, den er schiebt, schreibt im Dezember 2013 auf Facebook: „Bald inshallah (so Gott will, die Red.) den groessten fight ...weniger als zwei wochen soll groesses starten, moge allah mich annehmen und mir die schahada (den Märtyrertod, die Red.) geweahren.“

Die Verteidigung versucht die Berichte als reine Prahlerei darzustellen und plädiert deswegen für eine Maximalstrafe von zwei Jahren. Das Gericht hält die Berichte hingegen für glaubhaft. Nur, dass B. getötet hat, sieht es nicht als erwiesen an, die Mordanklage der Bundesanwaltschaft weist das Gericht schon früh zurück. Obwohl er auch damit angegeben hat, 16 Menschen getötet zu haben: „Sie lagen da wie Puppen.“

Anfang 2014 kehrt B. wieder nach Deutschland zurück. Er ist durch Granatsplitter verletzt worden. Den deutschen Sicherheitsbehörden geht er nicht ins Netz. In Deutschland hält er, so das Gericht, weiterhin Kontakt zu seinen Befehlshabern beim IS. Im Juli 2014 geht B. wieder nach Syrien. Wenn er dort nicht kämpfen könne, werde er in den Irak gehen, sagt er in einem Skype-Gespräch. „Ich werde für den IS kämpfen, bis ich als Shahid (als Märtyrer, die Red.) falle.“ 1000 Dollar verdiene er im Monat, verrät er der Verlobten.

Er fällt nicht. Stattdessen will er nach Deutschland zurück, gegen den Befehl seiner Kommandeure. Warum, ist unklar. Die Mutter organisiert einen Schleuser. In der Türkei wird B. im Januar 2015 festgenommen, im März in Deutschland. Seitdem sitzt er in U-Haft.

Vor Gericht behauptet B., dass er sich vom „Islamischen Staat“ vollständig losgesagt habe. Und: „Ich habe mich gegen den Islamismus entschieden.“ Er ist jetzt in einem Deradikalisierungsprogramm des Verfassungsschutzes. Laut Bundesanwaltschaft hat er allerdings versucht, noch in der Dortmunder Untersuchungshaft neue Mitglieder für den IS zu rekrutieren. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.