Essen. Übergriffe auf Rettungskräfte nehmen zu. Politiker fordern deshalb strengere Gesetze. Der Landesverband der Feuerwehr sieht darin keine Lösung.
Der Chef der Innenministerkonferenz, Klaus Buillon (CDU), hat härtere Strafen für Angriffe auf Rettungskräfte und Helfer gefordert. Übergriffe und Beleidigungen nahmen in den letzten Jahren deutlich zu. Im Januar etwa wurde ein Rettungssanitäter in Düsseldorf bei einem Einsatz mit einem Fausthieb bewusstlos geschlagen.
Im NRW-Innenministerium gibt es gegen den Vorschlag des saarländischen Innenministers trotzdem Vorbehalte. Ein erhöhtes Strafmaß verhindere keine unkontrollierten Attacken, denen vor allem Rettungskräfte ausgesetzt seien, erklärt Ministeriumssprecherin Dana Zimmermann gegenüber dieser Redaktion. Feuerwehrleute hätten häufig mit psychisch kranken und alkoholisierten Menschen zu tun, Angriffe passierten aus dem Affekt. "Eine erneute Erhöhung bietet keinen geeigneten Ansatz".
Landesverband beobachtet "massive Veränderung"
Diese Sicht teilen offenbar auch die Einsatzkräfte. Die Ministeriumssprecherin verweist auf eine Untersuchung der Ruhr-Universität Bochum im Auftrag der Unfallkasse zur Gewalt gegen Rettungsdienste. Demnach soll der überwiegende Teil der befragten Einsatzkräfte keinen Nutzen in härteren Strafen sehen.
Der Verband der Feuerwehren in NRW (VdF) bestätigt die Auffassung. "Gegen härtere Strafen wehren wir uns nicht", sagt Landesgeschäftsführer Christoph Schöneborn, "das ist aber nicht das Kernproblem".
Denn die zunehmenden Attacken sind Schöneborn zufolge Ursache einer "Verrohung der Gesellschaft. Es hat eine massive Veränderung in der Gesellschaft stattgefunden". Das Problem äußere sich in einem Bereich, den es früher nicht gegeben habe. Diejenigen, die bloß Hilfe leisten wollen, werden angegriffen, bespuckt, geschlagen. "Mittlerweile gehen Feuerwehrleute bei einem Einsatz nicht mehr alleine hinein, sondern nur zu zweit. Das hat es vor fünfzehn Jahren noch nicht gegeben."
Ein besserer Schutz beim Einsatz, etwa durch eine begleitende Polizeistreife, sei in der Praxis kaum umsetzbar. Nach dem Notruf fahren die Retter sofort zum Einsatz, jede Sekunde ist wichtig. Man könne nicht jedes Mal auf die Polizei warten. "Wir müssen uns angreifbar machen, wenn wir die Qualität beibehalten wollen", beklagt Schöneborn. Ein Dilemma für die Feuerwehr, das erst durch den "Werteverlust in der Gesellschaft" aufgekommen sei.
Ängste nicht nur bei den Einsatzkräften
Eine Umfrage kam zuletzt zu dem Ergebnis, dass die Bevölkerung der Berufsgruppe der Feuerwehrleute am meisten vertraut. Die Zahl der Übergriffe steigt jedoch stetig. Ein Widerspruch? Nicht für Christoph Schöneborn: "Aus meiner Sicht hat das eine mit dem anderen nichts zu tun. Bei der Umfrage wird ein allgemeines Bild vermittelt. Aber bei den Angriffen muss man das Verhältnis sehen. Dabei geht es um ein Klientel, das weniger als ein Prozent der Gesellschaft ausmacht." Dieses "Klientel" übertritt regelmäßig die Grenzen. Aggressionen seien mittlerweile ein alltägliches Phänomen, Ängste bei Einsatzkräften und deren Familien die Folge. In Bochum und andernorts setzen die Feuerwehren Deeskalationskurse ein, um ihre Mitarbeiter auf Konfliktsituationen vorzubereiten. Fünfzig Prozent der Deutschen Berufsfeuerwehrleute arbeiten laut Schöneborn in NRW. Die Zahl der Einsätze habe mit den Jahren stark zugenommen, da die Menschen sensibler geworden seien und immer älter würden.
Damit die Feuerwehr in NRW der Herausforderung Rechnung tragen kann, stellt der Landesverband zwei klare Forderungen: Zum einen eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Angriffen auf Rettungskräfte und Helfer. "Wir brauchen eine Renaissance der Zivilcourage", sagt der Landesgeschäftsführer. Und zum anderen eine gesellschaftliche Werteveränderung. "Ich wünsche mir, dass wir in zehn oder fünfzehn Jahren das Problem nicht mehr haben."
Landesregierung will Kampagne starten
Diese Forderungen erachtet auch die NRW-Landesregierung für sinnvoll. In einem Entschlussantrag der Landtagsfraktionen von SPD, CDU und Bündnis 90/Die Grünen vom 15. Dezember wurden Gegenmaßnahmen zu Papier gebracht. Neben repressiven Maßnahmen solle in Zukunft eine zivilgesellschaftliche Kampagne zur Wertschätzung der Einsatzkräfte umgesetzt werden. Seminare sollen die Retter besser auf Konfliktsituationen vorbereiten. Außerdem solle sich die Landesregierung auf Bundesebene für eine Verbesserung der Meldebögen einsetzen und prüfen, ob eine Erfassung auch auf Landesebene möglich ist. Attacken auf Rettungskräften wurden bisher statistisch nicht gezählt. Seit Beginn des Jahres werden die Angriffe laut VdF systematisch in NRW erfasst.