Köln. .
Eines sagte Guido Westerwelle immer wieder. „Ich will nicht nur überleben, ich will leben.“ Es war im vergangenen November, an einem kühlen und sonnigen Morgen, als der ehemalige Außenminister sein Buch „Zwischen zwei Leben“ im Berliner Ensemble vorstellte. Der Termin an diesem Sonntagvormittag war etwas Besonderes, und das wussten alle, die da waren. In dem kleinen, getäfelten Saal sogen die Zuhörer seine Worte auf, nahmen dankbar jedes Nicken, Winken, Lächeln des einst so lauten FDP-Politikers an. Es herrschte eine andächtige Stimmung im Raum. Und über allem lag die Frage: Wie geht es ihm? Und was hat die Krankheit mit ihm gemacht?
Guido Westerwelle starb am Freitag im Alter von 54 Jahren an den Folgen seiner Leukämie in der Universitätsklinik in Köln, das teilte gestern seine Stiftung, die Westerwelle-Foundation, mit.
An dem Morgen im Berliner Ensemble war seine Stimme krankheitsbedingt leise. Auf die Frage der Moderatorin Dunja Hayali, wie es ihm gehe, antwortete er: „Eigentlich ganz gut. Ich hatte schon bessere Phasen, aber auch sehr viel schlechtere. Ich kämpfe gerade mit einer Abstoßungsreaktion. Also, wenn ich etwas nuschle oder etwas zum Gurgeln brauche, liegt das daran.“ Dann machte er eine Pause und sagte: „Vor einem Jahr hätte ich diesen Zustand herbeigesehnt.“
Im Juni 2014 wurde bei ihm eine besonders schwere Form von Blutkrebs diagnostiziert – fast ein halbes Jahr auf den Tag genau nach seinem letzten Tag als Außenminister. Es folgten Chemotherapie und die Suche nach einem Stammzellenspender. Er hat Glück im Unglück, ein geeigneter Spender wird gefunden. Er überlebt die Transplantation.
Bis zu seinem Ausscheiden aus der Regierung nach der Wahl im September 2013 konnte er auf eine Ausnahmekarriere zurückblicken. Mit dem Bonner Juristen holten die Liberalen bei der Bundestagswahl am 27. September 2009 das beste Ergebnis in der Nachkriegszeit. Dieser Tag ist wohl der größte Erfolg seines politischen Lebens. Die FDP konnte mit 14,6 Prozent ihr Oppositionsdasein verlassen und bildete mit der Union die Regierung.
Westerwelle wurde Außenminister und Vizekanzler. Doch schon wenige Monate später folgte der Absturz. Die Zustimmung für die FDP rutschte rapide in den Keller. Aus dem Sieger wurde der Sündenbock.
Westerwelle wurde angelastet, dass er auf das Finanzministerium verzichtete, obwohl die FDP eine Steuerreform im Wahlkampf zum Kernthema erkoren hatte. Nach langen Personalquerelen wurde er im Frühjahr 2011 zum Rückzug vom Vorsitz gedrängt. Er blieb Außenminister und machte sich für weltweite Abrüstung und eine „Kultur der militärischen Zurückhaltung“ stark. Als Erfolg konnte Westerwelle die Wahl Deutschlands zum nichtständigen Mitglied in den UN-Sicherheitsrat für zwei Jahre ab Januar 2011 verbuchen.
Alles, was Guido Westerwelle im November in Berlin sagte, bei einem seiner letzten Auftritte, war ehrlich und offen. Und genau so zeigte er sich in diesen Tagen den Menschen in Deutschland. Er war plötzlich wieder überall, in der Talksendung von Günther Jauch, im „Spiegel“, in der „Bunten“. Es war kurze Zeit wieder wie früher. Doch er war nicht mehr der Provokateur, der scharfe Rhetoriker, der mit den 18-Prozent unter der Schuhsohle. Er war ein anderer geworden.
Sein Buch sollte helfen
Er bewegte als Mensch, der ums Überleben kämpfte. In einem Punkt war sein Kalkül aufgegangen, er wollte mit seinem Buch denen helfen, die in einer ähnlichen Situation sind. Und er wollte auf die Stammzellenspende aufmerksam machen. „Wenn dieses Buch auch nur 100 Menschen dazu bringt, sich als Spender registrieren zu lassen, dann rettet das Menschenleben.“ Und so ist vielleicht dieses letzte Vorhaben die Lebensleistung, die ihm am Ende besonders wichtig war: Die Sprecherin der Deutschen Stammzellenspenderdatei sagte gestern der NRZ, dass sich nach Westerwelles Buchveröffentlichung und seinen Auftritten im November immer mehr Bundesbürger als Stammzellenspender registrieren lassen. Die Bereitschaft halte an.