Mam Rashan. . Im Nordirak haben Hunderte jesidische Flüchtlinge ein neues Zuhause gefunden. Das „Flüchtlingsdorf NRW“ ist mithilfe von Spenden aus Deutschland gebaut worden. Auch NRZ-Leser haben das Projekt unterstützt

Mezafar Berges Matto sitzt im Schneidersitz auf der schmalen Matratze. Vor ihm steht auf dem Teppich eine Schale mit Obst und Süßigkeiten, heute feiern die Jesiden Ida Ezi, ihren wichtigsten Feiertag. Seine Frau Makia Abas Haji bringt einige Gläser dampfenden Tees, seine Kinder Ahin und Ajad kuscheln sich an ihn. Mezafar ist ein zufriedener Mann. Vor wenigen Wochen ist die Familie in ihr neues Zuhause gezogen, nach achtzehn Monaten Leben in einem Rohbau. „Es geht uns richtig gut“, sagt Mezafar und bietet lächelnd Zigaretten an. Er freut sich über die Gäste aus Deutschland.

Ihr neues Zuhause, das ist ein Wohncontainer, insgesamt 30 Quadratmeter, zwei Räume, Küche Toilette. Draußen steht darauf:„NRZ“. Dass die NRZ eine Zeitung aus Essen ist, erfährt Mezafar von seinen Gästen. „Danke, dass ihr an uns denkt“, sagt er. Auf den anderen Containern in dieser Siedlung im Norden des Irak stehen Städtenamen, Essen, Duisburg, Mülheim, Namen von Unternehmen aus dem Ruhrgebiet, von Kirchengemeinden. Im „Flüchtlingsdorf NRW“ haben etwa 400 Menschen Obdach gefunden.

Mezafar und seine Familie stammen aus Tel Benat, einem Dorf knapp 30 Kilometer östlich der Jesiden-Hochburg Sindschar. Es muss ein ruhiges, einfaches Leben gewesen sein in dem Dorf. Die Menschen betrieben entweder Landwirtschaft oder arbeiteten bei der Regierung. Mezafar, 34, arbeitete vormittags als Wachmann für das örtliche Parteibüro, nachmittags führte er eine kleine Autowerkstatt. Er hatte sich in seinem Leben eingerichtet, war stolz auf sein Auto, einen gebrauchten Opel, für den er Raten abstottern musste, er baute ein kleines Haus, zwei Schlafzimmer sollte es haben und ein Wohnzimmer. „Ich wollte viele Kinder, und dass sie eine gute Schulbildung bekommen. Das war für mich das Wichtigste“, sagt er.

Mezafar Berges Matto , seine Frau Makia, die beiden Kinder Ahin und Ajad, und ein Nachbarsjunge.
Mezafar Berges Matto , seine Frau Makia, die beiden Kinder Ahin und Ajad, und ein Nachbarsjunge. © Schwarz

Geboren und aufgewachsen in Tel Banat sahen Mezafar und Makia nicht viel von der Welt. Wozu auch. „Wir hatten ein gutes Leben“, sagt Makia. Sie ist ein Jahr älter als ihr Mann und trägt die traditionellen kurdischen Tätowierungen auf ihren Händen, die sich die jungen kurdischen Frauen in den Städten schon lange nicht mehr stechen lassen. Allenfalls nach Sindschar fuhr Mezafar, selten aber nur. „Ich schlief jede Nacht zu Hause.“

...und dann geht die heile Welt zu Bruch

Am 13. August vergangenen Jahres ging diese kleine, heile Welt zu Bruch. Die Terrormiliz, die sich „Islamischer Staat“ nennt, überrannte die Sindschar-Region von mehreren Seiten, Tel Banat war einer der ersten Orte, den sie eroberte. Wir sind nach Khana Shawania geflohen, das Nachbardorf. Da stammt meine Familie her“, erzählt Mezafar. Acht Tage später tauchten auch dort die bärtigen Männer auf, in ihren Pickups mit den aufgepflanzten Maschinengewehren und den wehenden schwarzen Fahnen. „Sie stammten aus der Gegend, deswegen haben sie uns nicht sofort getötet. Wir durften entscheiden, ob wir sterben wollen oder zum Islam konvertieren.“ Mezafar und Makia sprachen das Glaubensbekenntnis. „Hab’ ich nicht ernst gemeint“, sagt Mezafar und zerschneidet den Zigaretten-Rauch mit einer verächtlichen Handbewegung.

Wenige Tage später wurde der Druck zu groß. Die Terroristen waren wütend, weil einer von ihnen in einem Gefecht verletzt worden war. Jeder, der konnte, floh vor ihrer Rache, auch Mezafar, Makia und die Kinder. Die Alten und Behinderten blieben. Als Khana Shawania vor wenigen Wochen befreit wurde, fanden die kurdischen Soldaten hinter der Zementfabrik ein Grab mit den Überresten von 30 Menschen.

Für die, die es raus schafften, begann eine Odyssee. Erst hinauf ins Sindschar-Gebirge, an dessen Fuß Mezafar sein Auto stehen lassen musste, dann nach Syrien, schließlich in ein irakisches Dorf bei Zumel. „Wir haben dort mit sechs Familien in einem Rohbau gelebt. Es war keine gute Zeit“, sagt Mezafar. Das einzig Schöne sei gewesen, dass die Nachbarn ihnen aushalfen mit Nahrung und Kleidung. „Dadurch konnten wir alles besser ertragen.“

“Wir sind euch sehr dankbar“, sagt Makia

Jetzt lebt die Familie seit einigen Wochen in ihrem Wohncontainer, in einer Siedlung, die nur deswegen entstehen konnte, weil Menschen 4000 Kilometer weit entfernt die Notleidenden im Irak nicht vergessen haben. „Wir sind euch sehr dankbar“, sagt Makia.

Im Flüchtlingsdorf sind viele Menschen aus Tel Banat, auch Verwandte der Familie. Man hilft sich gegenseitig. Alle zehn Tage muss Mezafar nach Sindschar, die Stadt wurde Mitte November von kurdischen Kämpfern befreit, sie ist ein Trümmerfeld. Dort arbeitet Mezafar wieder als Wachmann für ein Parteibüro. Viel verdient er nicht, die Familie kommt irgendwie über die Runden. Im Flüchtlingsdorf selbst, das in eine größere Campstruktur eingebunden ist – insgesamt leben dort über 2000 Menschen – gibt es noch wenig Arbeit. Mit Spenden aus Deutschland konnte eine Bäckerei gebaut werden, dort haben immerhin fünf Menschen ein Auskommen gefunden. Aber die ersten Flüchtlinge haben bereits Geschäfte eröffnet. Das Leben entwickelt sich langsam.

Aber natürlich wollen Mezafar und Makia nach Hause, nach Tel Banat, das noch immer von den Terroristen besetzt ist. „Wenn sie weg sind, gehen wir zurück. Das ist unsere Heimat.“ Wie lange das noch dauern wird, weiß niemand. Und Deutschland? Nein, sagt Mezafar, das wäre nichts für ihn. Er hat die Bilder im Fernsehen gesehen. „Was soll ich in Deutschland in einem Zelt wohnen, wenn ich doch hier meinen Container habe.“

Das Projekt:

Das Projekt „Flüchtlingsdorf NRW“ wurde vom SPD-Landtagsabgeordneten Serdar Yüksel inittiiert. Die Caritas Flüchtlingshilfe Essen hat es vor Ort realisiert.

Insgesamt sind bislang über 400 000 Euro in das Projekt geflossen. Gespendet haben Städte, Unternehmen, Kirchengemeinden, die Ministerpräsidentin und Tausende Einzelpersonen, darunter viele NRZ-Leser. NRZ-Herausgeber Heinrich Meyer hat für das Dorf 5000 Euro zur Verfügung gestellt, die Funke-Mediengruppe, zu der die NRZ gehört, hat sich mit 25 000 Euro beteiligt.

Das Projekt läuft weiter. Geplant sind der Bau weiterer Wohncontainer, die Ausstattung einer Krankenstation und einer Schule, die von der deutschen GIZ gebaut werden, und Anschub-Hilfen für Handwerker und Gewerbetreibende im Flüchtlingsdorf.

Spenden an: Caritas Flüchtlingshilfe Essen, Bank im Bistum Essen. Konto: DE 4536 0602 9500 0010 2628, Stichwort: „Flüchtlingsdorf“.