Hagen. Es sind Geschichten von Terror und Krieg, von Lebensgefahr und purer Verzweiflung: Unser Foto-Blog “Menschen unterwegs“ lässt Flüchtlinge erzählen.
Nachrichten und Reportagen über Flüchtlinge gibt es genug. Über Flüchtlingspolitik und Einreisebestimmungen, über sichere Herkunftsländer und unsichere Reisewege in überfüllten Booten.
Unser Fotoblog "Menschen unterwegs" geht einen Schritt weiter: Wir lassen die Menschen erzählen. Menschen, die unterwegs sind – auf dem Weg vom Krieg in ein Leben in Frieden. Auf dem Weg von Terror, Hunger, Armut und Verzweiflung in ein Leben in Sicherheit. Sie sind in Deutschland angekommen. Aber fühlen sie sich auch angekommen?
Projekt soll zeigen – nicht bewerten
Wir wollen mit diesem Projekt nichts einordnen oder bewerten, nichts kritisieren oder schönreden. Wir wollen Geschichten hören. Weil es Geschichten sind, die wir nicht kennen und die wir uns nicht vorzustellen wagen. Und die für uns nicht einfach zu verdauen sind.
Jeden Tag um 11 Uhr erscheint im Blog ein neuer Eintrag, fotografiert und aufgeschrieben von Hendrik Schulz.
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"Menschen Unterwegs" auf Twitter
Niemand flieht freiwillig, verlässt einfach so Familie, Freunde, Bekannte, das gewohnte Umfeld, das oft keines mehr ist. Oft sind es junge Menschen, die sich auf den Weg machen, die die Gefahren der monatelangen Reise auf sich nehmen und sich auf enge Ladeflächen und morsche Boote zwängen. Deren Familien sich die letzten Pfennige absparen, damit sie raus können, einfach nur weg.
Aber nicht alle haben noch eine Familie. Daniel G. aus Guinea ist auf der Flucht , seit er 13 Jahre ist. Allein. Er sah, wie seine Eltern auf einer Demo erschossen wurden – und rannte so schnell er konnte: "Alles, was ich denken konnte, war: Überleben! Meine Eltern waren alles, was ich hatte. Stundenlang bin ich gelaufen, bis zur Grenze zum Senegal. Ich war ein kleiner Junge, ich wusste nicht, wohin. Ich war mit Abstand der Jüngste. Die Älteren waren wie Brüder für mich, was sie gesagt haben, habe ich gemacht. Aber im Senegal ist Bürgerkrieg, wir sollten für die Rebellen kämpfen."
Pharmazie-Student Shade A. (25) arbeitete in Damaskus als freiwilliger Sanitäter. Eine seiner letzten Hilfsmissionen führte ihn zu einer Hochzeitsgesellschaft, die vom Assad-Regime bombardiert worden war: "Einem Säugling fehlte der Arm bis zur Schulter, er schrie und weinte. Wir konnten nicht alle retten. Die Menschen, die wir raus brachten, wollte kein Krankenhaus aufnehmen. Die Ärzte hatten Angst, als Regimegegner beschuldigt zu werden. Wir konnten nur Erste Hilfe leisten und Blutungen stoppen. Die meisten sind gestorben. Und das in der Hauptstadt! Am zivilisiertesten Ort Syriens! Wenn es so weit gekommen ist, kann man nicht bleiben."
Nazlom B. (25) aus Kobane wagte die Schlauchboot-Fahrt übers Mittelmeer mit einem kleinen Kind. "Von Griechenland sind wir mit Autos weitergefahren, eng gedrängt, wie aufeinander gestapelt. Ich habe meinen Sohn fest in die Arme geschlossen, meine Frau hockte auf dem Boden hinter dem Sitz. Ich habe meine Familie die ganze Zeit versucht zu beschützen. Den anderen war das egal. Jeder war sich selbst der nächste."
Polizist Adrian B. aus Albanien: "Meine Kinder wissen nicht, warum wir hier sind. Sie fragen danach, aber ich sage etwas wie „Urlaub“. Ich kann ihnen nicht die Wahrheit sagen. Ich kann ihnen nicht sagen, dass wir alles zurückgelassen haben. All ihre Sachen. Das verstehen sie nicht. Ich will sie schützen. Wir sind geflüchtet, bevor etwas Schlimmes passiert. Dabei hatten wir gar keine Ahnung, wie wir das machen sollen."