Duisburg/Kassel. . Duisburger Anwalt war mit Mandant durch die Instanzen gezogen. Wohlfahrtsverbände warnen wegen der Rentenabschläge vor Altersarmut

Rentenabschläge hin oder her: Wenn Jobcenter für ältere Langzeitarbeitslose keine Vermittlungsperspektive mehr sehen, können sie diese mit 63 Jahren in die vorgezogene Altersrente drängen. Das hat das Bundesgericht gestern im Falle eines Duisburgers entschieden (Az: B 14 AS 1/15 R).

Dem Mann drohen nun Abschläge von 77 Euro von seinen 924 Euro Regelaltersrente, sein Anwalt sprach sogar von 90 Euro. Wohlfahrtsverbände kritisierten das Grundsatzurteil. „Die Zwangsverrentung von Hartz-IV-Beziehern ist rücksichtslos und kurzsichtig“, so Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes. Dem Verband zufolge droht in den nächsten zwei Jahren bundesweit 140 000 älteren Arbeitslosen die Zwangsverrentung.

0,3% werden in der Regel für jeden Kalendermonat von der Altersrente abgezogen, den man früher in Rente geht. Für den Duisburger (65), den das dortige Jobcenter schon vor zwei Jahren vorzeitig in Rente schicken wollte, sind das nach Angaben von Anwalt Wolfgang Conradis rund 90 Euro im Monat und über 1000 im Jahr, die im Portemonnaie bitter fehlen. Conradis ist mit seinem Mandaten deshalb durch die Instanzen gezogen – vergebens.

Das Bundessozialgericht in Kassel hat gestern entschieden, dass ältere Langzeitarbeitslose eine vorzeitige Altersrente akzeptieren müssen, wenn es keine Aussicht auf eine neue Erwerbstätigkeit gibt. Jobcenter können sich auf einen Paragrafen im Sozialgesetzbuch II stützen, der ältere Arbeitssuchende grundsätzlich verpflichtet, auch gegen ihren Willen, eine vorgezogene Altersrente ab 63 in Anspruch zu nehmen, um damit den Hartz-IV-Leistungsbezug zu beenden. Im engen Rahmen sind, etwa bei besonderen Härten, Ausnahmen möglich; Wolfgang Conradis war der Meinung, dass das Jobcenter seinen Ermessensspielraum im Falle seines Mandanten nicht genutzt hat – doch die Kasseler Richter folgten ihm nicht. Nach der Verhandlung zeigte sich der Anwalt gegenüber der NRZ enttäuscht.

Laut Gerichtssprecherin Nicola Behrend müssen Jobcenter nach der gestrigen Entscheidung auch Einzelfall-Aspekte abwägen – etwa, ob die vorgezogene Rente ab 63 zum Leben reicht oder ergänzende Sozialleistungen nötig sind. Wohlfahrtsverbände fürchten dennoch, dass die gekürzte Zwangsrente Menschen in die Altersarmut und damit in die spätere Grundsicherung treibt. Immerhin werden die Abschläge im Zuge der Schritt für Schritt eingeführten Rente mit 67 in den nächsten Jahren noch größer werden.

„Von niemand anderem wird erwartet, dass er vorzeitig mit Abschlägen in die Rente geht“, sagte Nikolaus Immer von der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe. Wie bei der Mütterrente werde auch für Hartz-IV-Empfänger eine Sondersituation geschaffen, so der Fachmann weiter. Juristisch sei das offenkundig korrekt, wie das Urteil ja zeige. Immer ist gleichwohl der Meinung, dass die Politik hier die Gesetzesvorgaben überprüfen müsse.

„Entwertung ihrer Biografie“

Laut Joachim Rock vom Gesamtverband „Der Paritätische“ ist die Zwangsrente für viele dramatisch – nicht nur wegen finanzieller Einbußen: „Die Leute erleben das als eine Entwertung ihrer Biografie.“ Die in Jobcentern getroffene pauschale Feststellung, dass es für jemanden keine Berufsperpektive mehr gebe, führe zudem die Bemühungen ins Absurde, ältere Menschen in Arbeit zu bringen. Auch Diakonie-Experte Immer hält eine solche Feststellung für sehr fragwürdig.