An Rhein und Ruhr. . Bernd Jürgen Schneider ist Hauptgeschäftsführer des nordrhein-westfälischen Städte- und Gemeindebundes. Angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen warnt er vor einem Kollaps der Städte, fordert schnellere Abschiebungen für Flüchtlinge vom Balkan - und schlägt die Einführung eines „Entwicklungs-Solis“ vor, um die Situation in den Herkunftsländern zu verbessern.

Wenn es darum geht, seine Städte und Gemeinden vor Schaden zu bewahren, legt sich Bernd Jürgen Schneider kampfeslustig mit der Regierung an. Der 58-jährige promovierte Jurist ist der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes NRW und vertritt 359 Kommunen. Da hat er zurzeit viel zu kämpfen, denn die Probleme sind gewaltig. Die hohen Kosten für Inklusion, Flüchtlingsunterbringung und Infrastruktur setzen den kleineren Kommunen besonders zu. Über Probleme und Lösungsansätze sprach Schneider mit NRZ-Redakteur Peter Toussaint.

Immer mehr Flüchtlinge kommen nach NRW. Das bedeutet zusätzliche Lasten. Sie haben vor einem „Asylkollaps“ gewarnt. Ist das nicht übertrieben?

Bernd Jürgen Schneider: Die Lage ist dramatisch. Wir erleben eine Völkerwanderung von Süd nach Nord und von Ost nach West. Millionen haben sich in Afrika auf den Weg nach Europa gemacht, weil sie sich hier ein besseres Leben erhoffen. Wir können nicht allen helfen, aber es gilt: Wer vor Krieg flüchtet, ist schutzbedürftig. Es ist unsere Pflicht als wohlhabendes Land, diesen Menschen eine Perspektive zu geben.

Das soll also nicht für alle gelten, die zu uns kommen..?

Schneider: Nein. Wir können den Schutzbedürftigen nur helfen, wenn wir die Nicht-Schutzbedürftigen schnell in ihre Heimatländer zurückbringen. Das gilt für die Menschen aus dem westlichen Balkan. Die Asylverfahren müssen schnell abgeschlossen werden. Je länger diese Menschen hier bleiben, desto stärker werden sie in ihrer Heimat entwurzelt. Wir entziehen so diesen Ländern die Mittelschicht, die sie dringend brauchen, um vorwärtszukommen.

„Irgendwann sind alle Gebäude belegt, alle Plätze ausgenutzt“

Das Land nimmt die Kommunen zunehmend bei der Erstaufnahme von Flüchtlingen in die Pflicht. Können die Kommunen das leisten?

Flüchtlinge in DeutschlandSchneider: Wir haben die Landesregierung schon vor einem halben Jahr gewarnt, weil sie die Zahl der erwarteten Flüchtlinge viel zu niedrig eingeschätzt hat. Jetzt steigen die Zahlen immer weiter und das Land verpflichtet die Kommunen zu helfen. Das geht einmal, auch zweimal oder dreimal. Aber das ist nicht nur eine Frage des Geldes. Irgendwann sind alle Gebäude belegt, alle Plätze ausgenutzt. Dann werden auch einmal Flüchtlinge zurückgeschickt werden müssen.

Ihr Lösungsvorschlag?

Schneider: Wir brauchen eine gerechtere Aufteilung von Flüchtlingen in Europa. Und wir brauchen große, grenznahe Einrichtungen zur Erstaufnahme. Das ist eine nationale Aufgabe. Das muss der Bund übernehmen und bezahlen. Wirtschaftsflüchtlinge müssen schnell in ihre sicheren Herkunftsländer zurückgebracht werden.

Aber dort fehlt ihnen oft jede Perspektive. Ist es nicht verständlich, dass sich diese Menschen ein besseres Leben wünschen?

Schneider: Deshalb müssen wir den Menschen dort eine Chance geben, wo sie zu Hause sind. Wir müssen vom Wohlstand abgeben – vielleicht mit einem Entwicklungs-Soli.

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© NRW Städte- und Gemeindebund

„Wir brauchen Einwanderung, um unseren Wohlstand zu sichern“

Ist nicht die Zuwanderung auch eine Chance im demografischen Wandel gegen die Entvölkerung von Städten und Gemeinden?

Schneider: Wir brauchen Einwanderung, um unseren Wohlstand zu sichern. Aber das kann nicht unkontrollierte Zuwanderung bedeuten. Das ist ein Unterschied. Wir müssen die Einwanderung steuern und qualifizierte Leute zu uns einladen. Und wer als Flüchtling anerkannt ist, sollte schnell integriert werden und arbeiten können.

Weil der Staat überfordert scheint, springen immer mehr Ehrenamtler ein – zum Beispiel bei Tafeln, bei der Schülerbetreuung oder bei der Flüchtlingshilfe. Eine gute Entwicklung?

Schneider: Ohne dieses Engagement wäre die Situation noch dramatischer. Das ist ein tolles Engagement – oft auch von aktiven Menschen, die wir mit 63 viel zu früh in den Ruhestand geschickt haben. Der Staat kann nicht mehr alles leisten. Unsere Städte und Gemeinden mussten 12 000 Stellen abbauen. Nur noch das Nötigste kann finanziert werden; Investitionen werden zurückgefahren.

„NRW steht im Stau und muss Baustellen weiträumig umfahren“

Das merkt man auch an baufälligen Schulgebäuden, Schwimmbädern oder maroden Brücken. Ist dies bei uns in NRW besonders schlimm?

Schneider: Ja. Wenn Bundesverkehrsminister Dobrindt das Geld verteilt, kommt NRW schlecht weg. Das liegt aber auch daran, dass hier die Planungen nicht vorangetrieben worden sind. Der Autobahnbau wurde und wird ideologisch verteufelt. NRW steht im Stau und muss Baustellen weiträumig umfahren. Das können sich Unternehmen auf Dauer nicht leisten. Sie werden wegziehen.

Verliert das Land seine Zukunftsfähigkeit?

Schneider: Wir müssen aufpassen und investieren. In ländlichen Regionen fehlt es an schnellen Internetverbindungen. Darauf sind Menschen und Betriebe angewiesen. Unsere Landesregierung investiert da gerade mal 60 Millionen Euro. In Bayern sind es 1,8 Milliarden. Es droht die Gefahr, dass die Leute auch deswegen vom Land in die Zentren ziehen. Die älteren Menschen bleiben, die Schulen schließen, die Orte veröden. Ein beunruhigendes Szenario.

Müssen sich nicht auch ihre Mitgliedskommunen stärker anstrengen, um Kosten zu sparen, Haushalte zu sanieren und wieder mehr Luft für Investitionen zu bekommen?

Schneider: Man darf nicht immer nur auf andere zeigen, wenn es ums Sparen geht. Nicht jede Stadt braucht einen eigenen Winterdienst, und Bauhöfe kann man zusammenlegen, um Kosten zu sparen. Auch ein Feuerwehrhaus kann man auf die Grenze zwischen zwei Kommunen setzen. Aber das ist nichts im Vergleich zu den Kosten, die durch 350 000 geduldete Flüchtlinge allein bei uns entstehen. Anders als in Bayern und Baden-Württemberg bleiben in NRW die Städte und Kommunen auf einem Großteil der Kosten sitzen. Das ist nicht fair, denn sie können ja kaum die Einnahmen erhöhen. Die Grundsteuer B und die Gewerbesteuer sind schon hoch. Wer zu stark an der Schraube dreht, macht das Gewinde kaputt.