Kreis Minden-Lübbecke. . In Stemwede in Ostwestfalen wurde ein Schaf von einem Wolf gerissen. „Wir müssen wieder lernen, mit dem Wolf zu leben“, meint Umweltminister Johannes Remmel Grüne.

Bisse am ganzen Körper hatte das Schaf. Horst Feldkötter hatte daher zunächst einen wildernden Hund in Verdacht. „Ein Wolf beißt in der Regel gezielt, um zu töten – in die Kehle etwa oder ins Genick“, sagt Feldkötter. Der 63-Jährige ist ehrenamtlicher, vom Land NRW eigens geschulter Wolfsberater für Ostwestfalen und war am 28. Dezember zu einer Schafskoppel bei Stemwede gerufen worden. Aus einer etwa 40-köpfigen Herde auf der Weide hatte sich ein nächtlicher Angreifer das trächtige Weibchen gegriffen.

Das Schaf lebte noch. Aber: „Es konnte wegen zwei tiefer Bisse in die Vorderläufe nicht mehr aufstehen“, erzählt Fachmann Feldkötter im Gespräch mit der NRZ. Diese Art, zu beißen, war dann doch ungewöhnlich für einen Hund; zudem hatte es auf anderer Seite der nur zehn Kilometer entfernten niedersächsischen Landesgrenze bereits bestätigte Wolfsangriffe gegeben. Grund genug also, um Gewebeproben mit Speichelresten des Angreifers zu sichern. Fachleute haben die DNA-Spuren nun untersucht, und das Ergebnis lässt aufhorchen: Es war mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Wolf, der das Schaf gerissen hat!

Mehrfach in Fotofallen getappt

„Meister Isegrim ist wieder da“, freut sich NRW-Umweltminister Johannes Remmel. (Grüne) und wertet das als gutes Zeichen für den Naturschutz. Vor 170 Jahren war der letzte Wolf auf dem Gebiet des heutigen Nordrhein-Westfalen geschossen worden, seither galt das für den Menschen ungefährliche Raubtier hier als ausgerottet. Mittlerweile aber gibt es wieder Wölfe in Deutschland. Sie stehen streng unter Naturschutz. Und weil der Bestand seit gut 15 Jahren von Sachsen aus westwärts drängt, wird der heimliche Räuber seit geraumer Zeit auch in NRW erwartet. 2009 hatte bereits ein durchreisender Wolf ein Schaf im Kreis Höxter gerissen. Dieses Mal aber könnten die Dinge anders liegen. Dieses Mal könnte ein Wolf gekommen sein, um zu bleiben.

Gut möglich, dass es ein junges Tier aus dem benachbarten Niedersachsen ist, das ein neues Revier sucht. In Niedersachsen wächst der Wolfsbestand stetig, von der ersten Sichtung im Jahr 2011 auf nun fünf Rudel und zwei Einzelpaare. Mittlerweile 50 Tiere sollen dort umherstreifen. Im Kreis Diepholz, der auf NRW-seite direkt an Stemwede und den Kreis Minden-Lübbecke grenzt, war einer dieser Wölfe zuletzt mehrfach in von Biologen aufgestellte Fotofallen getappt.

Ob der Wolf bleibt, muss sich erst zeigen

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Warum also nicht einfach mal „rübermachen“? Nahe Stemwede gibt es das Oppenweher Moor. Mit Kaninchen, Rehen und Wildschweinen ist der Tisch dort (auch ohne Schafe) reich gedeckt. Fast noch wichtiger: Die Landschaft ist weitläufig, nur dünn besiedelt, es gib nur wenige Straßen. Ideal für einen Wolf, meinen Fachleute. Ob sich der stille Räuber aber nun tatsächlich im äußersten Zipfel NRWs ansiedelt, müssen die nächsten Wochen und weitere Beobachtungen zeigen. Naturschützer von Nabu und Bund jubeln. „Es ist ein großer Erfolg für den Naturschutz, dass der Wolf nach seiner Ausrottung endlich zurückkehrt“, ist Bund-Landeschef Holger Sticht überzeugt. Er fordert, ein pauschales Abschussverbot für Hunde im neuen Jagdgesetz zu verankern. 2012 hatte im Westerwald, nicht weit von NRW entfernt, ein Jäger einen Wolf erschossen – angeblich, weil er ihn für einen wildernden Hund hielt. „Das darf sich bei uns nicht wiederholen“, forderte Stich.

Beim Schafverband mag man sich - aus nachvollziehbaren Gründen - nicht so Recht über die Rückkehr freuen: „Wenn Schafe gerissen werden, kann mich das nicht froh macht“, sagt NRW-Sprecher Mark Dünow. Aber: Man akzeptiere, wenn die Gesellschaft die Rückkehr des Wolfes wolle – nur „muss sie dann auch für die Folgen aufkommen“. Sprich: Für gerissenes Weidevieh und für einen besseren Schutz von Schaf & Co.

Mobile Elektrozäune zum Schutz

Das geschieht, wie ein Sprecher von Minister Remmel versichert. Das gerissene (und mittlerweile eingeschläferte) Schaf wird ersetzt, dafür gibt es einen Etat. Zudem hat das Land NRW extra für das Auftauchen von Wölfen mobile Elektrozäune und Kameras angeschafft. Eines diesen mobilen Sets ist jetzt unterwegs nach Stemwede. Zudem macht sich ein Arbeitskreis aus Behörden, Schafzüchtern und Tierschützern Gedanken, was man alles tun kann (und muss), wenn der Wolf sich tatsächlich wieder ansiedelt.

Im Gespräch ist die Wieder-Anschaffung klassischer Hütehunde, die tatsächlich in der Lage sind, einen Wolfsangriff auf eine Schafsherde auch abzuwehren. Solche Hunde gibt es heute nicht mehr. Remmel ist überzeugt: „Nach mehr als einem Jahrhundert müssen wir wieder lernen mit dem Wolf zu leben.“