Essen/Bochum/Düsseldorf.. Nahverkehrsunternehmen in NRW nehmen seit Jüngstem keine E-Scooter mehr mit. Sozialverbände sehen Behinderte beschnitten. Das Land will helfen.
Mehr als 30.000 Menschen in NRW sind seit wenigen Wochen vom Transport in Bus- und Straßenbahnen ausgeschlossen, weil sie, laut Schätzung vom NRW-Landesbehindertenbeauftragten, E-Scooter nutzen und damit bei den meisten Nahverkehrsunternehmen in NRW mittlerweile nicht mehr befördert werden. Nun haben mehrere Sozialverbände die Unternehmen aufgefordert, das Verbot umgehend zurückzunehmen. In der Nahverkehrsbranche sieht man sich in der Zwickmühle - und beharrt auf dem Verbot.
"Wir sind über diese Regelung nicht glücklich, aber wir müssen Gefahren beim Transport ausschließen", sagt etwa Sandra Bruns, Sprecherin der Bogestra. Wen man auch fragt: Die Verkehrsunternehmen berufen sich auf eine Studie, die vor Unfall- und Haftungsrisiken warnt. E-Scooter sind einsitzige Elektrofahrzeuge, die mit Fahrer bis zu 500 Kilo wiegen dürfen. Stehen sie quer zur Fahrtrichtung etwa in einem Bus, können sie bei einer Vollbremsung umkippen. Für Schäden müsste dann auch der Busfahrer haften, und zwar straf- und zivilrechtlich. Zudem würden selbst Hersteller E-Scooter-Nutzer vor der Mitnahme in Bussen warnen.
"In den meisten Fällen lassen sich E-Scooter gefahrlos transportieren"
Für Norbert Killewald, der NRW-Behindertenbeauftragte, hat die Studie indes Mängel. "In 65 Prozent aller Verkehrsmittel lassen sich E-Scooter gefahrlos transportieren". Wenn Fahrzeuge für den Transport von Rollstühlen mit "Prallplatten" ausgerüstet sind; das sind gepolstere Flächen im Innern. "Mit dem Rücken in Fahrtrichtung vor einer Prallplatte und mit angezogener Bremse ist man auf einem E-Scooter im Bus auch bei einer Vollbremsung ausreichend geschützt". Verkehrsunternehmen argumentieren, E-Scooter seien zu unhandlich, um in engen Fahrzeugen entsprechend sicher eingeparkt zu werden.
Zudem werfen Sozialverbände vielen Verkehrsunternehmen vor, das Verbot ohne Grund auch auf Straßen- und U-Bahnen ausgeweitet zu haben, wie etwa bei der Essener Evag, der Bogestra in Bochum und Gelsenkirchen oder den Dortmunder Stadtwerken DSW21. "Die Studie hat sich nur mit dem Transport in Bussen beschäftigt", sagt Norbert Killewald. Zum Vergleich: Die Düsseldorfer Rheinbahn beschränkt das Verbot nur auf Busse: In Straßenbahnen herrschten geringere Fliehkräfte, sagt Sprecherin Heike Schuster.
Verbot ist ein Verstoß gegen die UN-Behindertenrechtskonvention
Die Krankenkassen kritisieren das Beförderungsverbot von E-Scootern als "Widerspruch", sagt eine Sprecherin vom Verband der Ersatzkassen NRW. E-Scooter sind ein anerkanntes Hilfsmittel, wenn sich Menschen "bei der Erledigung von Alltagsgeschäften" nicht anders bewegen können; das hat auch das Bundessozialgericht bestätigt. Bei DSW21 merkt eine Sprecherin dazu an: "Wir haben den Eindruck, dass E-Scooter, die im Durchschnitt deutlich günstiger als E-Rollstühle sind, in letzter Zeit von Krankenkassen vermehrt als Hilfsmittel verschrieben werden." Rollstühle, auch mit Elektroantrieb, werden weiterhin in Bussen und Bahnen befördert.
Wie auch immer: Der Landesbehindertenbeauftragte wertet das E-Scooterverbot im Nahverkehr letztlich als Rechtsverstoß und hat das Land zu einer "Normprüfung" aufgefordert. So verstießen die Verkehrsunternehmen gegen das Behinderten-Gleichstellungsgesetz und die UN-Behindertenrechtskonvention, die bereits 2009 von Bundestag und -rat ratifiziert worden war.
Ob das Verbot von E-Scootern wieder aufgehoben werden muss, soll sich bis Ende März klären, heißt es im NRW-Verkehrsministerium. Dort hat man jüngst ein neues Gutachten in Auftrag gegeben, das umfassender als die Studie der Verkehrsunternehmen beleuchten soll, wie gefährlich E-Scooter in Bussen und Bahnen denn nun sind - und welche Lösungsvorschläge sich als Kompromiss anbieten. Angesichts von einigen Zehntausend Betroffenen seien die Unternehmen und Betroffenen in einer "völlig misslichen Lage", beschreibt ein Ministeriumssprecher. Liegt das Gutachten vor, will man mit den Nahverkehrsunternehmen und Sozialverbänden rasch dafür sorgen, "die Kuh vom Eis zu holen".