Essen. Untreue beginnt oft in Gedanken. Wann Fantasien und Wünsche zur Gefahr für die Beziehung werden und wie Sie damit umgehen können.
Nach einem Seitensprung stehen viele Menschen vor schwierigen Entscheidungen: Soll ich beichten oder alles für mich behalten? Während die einen von Schuldgefühlen geplagt werden, fürchten die anderen die möglichen Konsequenzen eines Geständnisses. Doch wie findet man heraus, welcher Weg der richtige ist? Ein Paartherapeut gibt Tipps, wie man mit dieser heiklen Situation umgehen kann.
Verliebtheit vs. Liebe: Hier liegen die Unterschiede
Sich in jemand anderen zu verlieben, obwohl man in einer Beziehung ist, kann für viele Menschen verwirrend und belastend sein. „Liebe ist eine schwere Geisteskrankheit“, soll schon Platon erkannt haben. Doch sich zu verlieben und zu lieben sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Zwei Neurobiologen, Andreas Bartels und Semir Zeki, vom University College London, fanden in einer Studie heraus, dass frisch Verliebte unter dem Einfluss eines Hormoncocktails stehen.
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Demnach lässt sich Verliebtsein durch die Aktivität bestimmter Hirnareale erklären. Während Regionen, die das Belohnungssystem steuern, besonders aktiv sind und Glücksgefühle auslösen, zeigen Hirnareale, die für kritische Beurteilung zuständig sind, eine deutlich geringere Aktivität. In dieser Phase neigen Menschen dazu, ihren Partner zu idealisieren und negative Aspekte auszublenden.
Beim Fremdverlieben verlaufe es nach dem gleichen Prinzip, erzählt Eric Hegmann, Paartherapeut und Mitbegründer der „Modern Love School“ in Hamburg. Auch hier spiele der Hormoncocktail eine zentrale Rolle: „Die Gehirnvergiftung gaukelt vor, der Schwarm sei das Wichtigste und Tollste überhaupt.“ Dabei würden Betroffene lediglich sexuelle Anziehung wahrnehmen, die sie mit echter Liebe vertauschen. Hegmann betont, dass wahre Liebe erst im Laufe der Zeit, etwa durch gemeinsame Erfahrungen wächst.
Fremdverliebt – und nun? Paartherapeut gibt Antworten
Wer Fantasien mit einer anderen Person hat, der muss sich nicht zwangsläufig schlecht fühlen, denn solche imaginären Szenarien bleiben meist in unseren Gedanken. Entscheidend sei jedoch, wie man damit umgeht und ob sie die Grenze zur Realität überschreiten. „Aus der Praxis weiß ich, dass das Verdrängen einer anderen Liebe oft zu großen Konflikten führt. Denn daraus entsteht oft eine Sehnsucht, die überromantisiert wird“, so Hegmann.
Gleichzeitig betont der Experte, wie wichtig es sei, seine Gefühle nicht zu unterdrücken: „Wer dagegen das Gefühl des Fremdverliebens zulässt, sich aber letztlich bewusst dagegen entscheidet, es auszuleben, reflektiert die eigenen Bedürfnisse.“ Im Anschluss sei es hilfreich, ein Gespräch mit dem Partner zu suchen und über die eigenen Wünsche und Bedürfnisse offen zu sprechen. Oft fantasieren Menschen mit anderen, weil in der Beziehung etwas fehlt, erklärt der Paartherapeut.
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Schlechtes Gewissen bei Fantasien: Woher kommt es?
Wenn aus der Fremdverliebtheit ein weiterer Schritt wird und es zu einer körperlichen Begegnung kommt, wird die Situation deutlich schwieriger, und die Konsequenzen sind oft tiefgreifend. „Beide haben Angst vor dem Alleinsein, vor der Wiederkehr eines alten Trennungstraumas, vor einer möglichen Neuordnung der Familienverhältnisse“, so Hegmann. Die untreue Person wird häufig von starken Schuldgefühlen geplagt – diese resultieren meistens weniger als dem Seitensprung selbst, sondern vielmehr aus dem schlechten Gewissen gegenüber dem Partner.
Dass Menschen nicht das Fremdgehen an sich, sondern eher den verursachten emotionalen Schaden bereuen, zeigte auch eine Parship-Studie von 2021, die der Paartherapeut begleitete. Zwei Drittel der Befragten gaben an, wegen ihres Partners schlechtes Gewissen zu haben, jedoch nicht den Seitensprung selbst zu bereuen. Hegmann sagt über Betroffene: „Sie sind sich des Schmerzes bewusst, den sie ihrem Partner zufügen. Nicht umsonst haben sie den Seitensprung von Anfang an verheimlicht“.
Seitensprung beichten oder nicht? Das sagt der Experte
Ob man einen Seitensprung beichten sollte oder nicht, ist eine schwierige und individuelle Entscheidung. Hegmann warnt Betroffene: „Mit der Beichte versuchen viele, ihr eigenes schlechtes Gewissen zu erleichtern und das Problem auf den Partner abzuwälzen.“ Darum sollten sie abwägen, was für die Beziehung am besten ist. Handelt es sich um einen einmaligen Ausrutscher, ohne emotionale Bedeutung, so würde eine Beichte möglicherweise einen unnötigen Schaden anrichten und das Vertrauen des Partners unwiderruflich zerstören, erklärt der Beziehungsexperte.
Entscheidet sich der Betroffene, seine Untreue zu gestehen, sei es grundsätzlich kein falscher Schritt. Hegmann betont jedoch, dass in vielen Beziehungen oft ein Mangel an offener Kommunikation herrsche: „Was ich in der Therapie oft erlebe, ist, dass unter Ehrlichkeit Folgendes verstanden wird: Erzähl mir alles, aber nur das, was ich hören will. Erzähl mir deine Gefühle, aber nur die, die mich nicht verletzen. Sag mir, was ich hören will, aber nur das, was mir wirklich gefällt.“
Unabhängig davon, ob sich die Betroffenen fürs Beichten oder für den ehrlichen Weg entscheiden, sollten sie Verantwortung übernehmen und reflektieren, was zu ihrer Untreue geführt hat. Wer in einer solchen Situation steckt, sollte sich zunächst einige grundlegende Fragen stellen: Was suche ich bei der anderen Person, und welche Bedürfnisse stecken dahinter?
Manchmal werde dabei deutlich, dass der aktuelle Partner gar nicht alle Erwartungen und Sehnsüchte erfüllen kann – ein Gedanke, den auch dieser vielleicht nachvollziehen kann. Dennoch rät Hegmann dazu, nicht passiv abzuwarten, bis das Thema aufkommt, sondern selbst aktiv zu handeln. „Der betrogene Partner spürt dann, dass er nicht allein ist mit seinen Gedanken über die Affäre, dass er nicht allein versucht, diese Beziehung zu retten, dass er nicht allein versucht zu verstehen, was passiert ist.“