Essen. Warum auch glückliche Partner fremdgehen: Einblicke vom Paartherapeuten Eric Hegmann über die komplexen Motive hinter Untreue.
Untreue in einer glücklichen Beziehung scheint auf den ersten Blick paradox. Doch viele Menschen erleben den Drang, fremdzugehen, auch in Partnerschaften, in denen sie grundsätzlich zufrieden sind. Die Gründe dafür sind komplex und oft weniger mit der Partnerschaft selbst als vielmehr mit individuellen Bedürfnissen verknüpft. Ein Paartherapeut erklärt die Hintergründe.
Fremdgehen trotz glücklicher Beziehung: Motive für Untreue in erfüllten Partnerschaften
Dass jemand fremdgeht, hieße noch lange nicht, dass er in seiner Partnerschaft unglücklich ist, sagt Eric Hegmann, Paartherapeut und Mitgründer der „Modern Love School“ in Hamburg. In einigen Fällen könnte es passieren, auch wenn es in der Beziehung an Liebe, Respekt und sexueller Anziehung nicht mangelt. Was verleitet also Menschen dazu, eine intime Beziehung mit einer anderen Person einzugehen? Laut dem Experten wollen die Untreuen meistens ihre Bedürfnisse befriedigen, die ihr Partner nicht hundertprozentig erfüllt – das können beispielsweise sexuelle Fantasien sein oder der Wunsch nach Anerkennung.
In einer Studie der University of Maryland, der Indiana University und der Stony Brook University wurden im Jahr 2020 rund 500 Teilnehmer nach ihren Fremdgeh-Motiven befragt. Die Studienergebnisse offenbarten, dass Rache ein häufiges Motiv war, insbesondere wenn der Partner zuvor ebenfalls untreu gewesen war. Andere suchten außerhalb der Beziehung nach Bestätigung, da sie sich nicht ausreichend geliebt fühlten, und versuchten so, ihr Selbstwertgefühl zu stärken.
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Doch es gibt weitere Gründe für Untreue:
- Suche nach sich selbst: Der Paartherapeut nennt es als einen der häufigsten Gründe, warum Menschen trotz glücklicher Beziehung fremdgehen. Ein Seitensprung sei für die Person eine Möglichkeit, sich neu zu erkunden. „Ein schlechtes Gewissen wegen des Fremdgehens haben die Untreuen meist nicht“, betont Hegmann. Allerdings führe der Schmerz und Enttäuschung des Partners öfter zu Schuldgefühlen.
- Etwas Neues erleben: „Viele Menschen können körperliche und emotionale Treue trennen. Sie gehen nicht fremd, weil sie in ihrer Beziehung unzufrieden sind, sondern weil sie etwas anderes erleben wollen. Etwas, das ihnen der Partner oder die Partnerin nicht geben kann oder einfach wegen des Kicks, den das Verbotene mit sich bringt“, so der Beziehungsexperte. Bevor Partner den Schritt ins Fremdgehen wagen, sei es ratsam, offen über Wünsche und Bedürfnisse zu sprechen. So gebe man sich gegenseitig die Chance, darauf einzugehen.
Fantasien vs. Wünsche in der Beziehung: Ein großer Unterschied
Fantasien über sexuelle Begegnungen außerhalb der Beziehung zu haben, sei nicht zwangsläufig ein Grund zur Sorge. Ganz im Gegenteil, handele es sich dabei um ein normales Bedürfnis, sagt Hegmann. „Wer ehrlich ist, wird sich hoffentlich auch eingestehen, dass Fantasien über andere erotische Erfahrungen normal sind. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass man selbst nicht immer im Mittelpunkt der Fantasien des Partners steht.“
Es sei unmöglich, dass Partner während der Beziehung alle Bedürfnisse erfüllen. Dennoch sollten Menschen zwischen Fantasien und Wünschen unterscheiden. Während Fantasien nur imaginäre Szenarien sind, ist hingegen ein Wunsch eine konkrete Vorstellung, die als Antrieb zur Handlung dienen kann. „Ich halte es für sehr hilfreich, zwischen Fantasien und Wünschen zu unterscheiden und als Paar über Fantasien zu sprechen.“, so der Experte.
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Können sich Menschen trotz erfüllter Beziehung in jemand anderen verlieben?
Auch das Gefühl, sich trotz glücklicher Partnerschaft in eine andere Person zu verlieben, sei normal: „Verlieben ist ein Reflex, Liebe ist eine Entscheidung“, sagt der Paartherapeut. Dabei sei es entscheidend, den Unterschied zwischen Verliebtsein und Liebe zu kennen. Das Erste gehe mit einer heftigen Hormonausschüttung einher, während echte Liebe erst im Laufe der Zeit entstehe. „Dieser Hormoncocktail gaukelt den Verliebten vor, dass der Schwarm das Wichtigste und Tollste überhaupt ist, aber dahinter steckt meist nur sexuelle Anziehung und keine Liebe“, erklärt Hegmann.
Offen über die eigenen Bedürfnisse zu sprechen, ist oft der Schlüssel zum Erfolg. Wer seine Emotionen und Gefühle unterdrückt, der kann langfristig krank werden. Mehrere Studien zeigen, dass unterdrückte Gefühle zu ernsthaften psychischen Beschwerden führen können.
„Durch das Unterdrücken entsteht oft eine Sehnsucht, die überromantisiert wird“, warnt Hegmann. Er empfiehlt, den Gefühlen einen Raum zu geben: „Wer sich am Ende bewusst dafür entscheidet, die Schwärmerei nicht auszuleben, sondern nur das Gefühl wahrzunehmen, reflektiert die eigenen Bedürfnisse“, so der Experte.