Berlin. Pilzpräparate locken mit Gesundheitsversprechen. Doch wie wirksam sind Produkte – und wo lauern Gesundheitsrisiken? Ein Experte klärt auf.

Egal, ob Pulver, Tabletten oder Kapseln: Nahrungsergänzungsmittel sind in Deutschland so beliebt wie noch nie zuvor. Laut der Global Consumer Survey von Statista nehmen drei von vier Deutschen Nahrungsergänzungsmittel ein. Besonders beliebt sind Klassiker wie Multivitamine, Magnesium, Eisen oder Zink. Doch zunehmend rücken auch ausgefallenere Produkte in den Fokus der Verbraucherinnen und Verbraucher, darunter sogenannte „Botanicals“ (Pflanzenextrakte) und „Vitalpilze“.

Was sind Vitalpilze eigentlich?

Pilze wie Chaga, Shiitake, Löwenmähne, Cordyceps oder Reishi werden teils schon seit Jahrhunderten in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) und der ayurvedischen Medizin verwendet. Einige davon, so wie der Shiitake, haben sich auch als Speisepilze etabliert. Andere, wie der Reishi oder die Schmetterlingstramete, sind ungenießbar und werden nur als Extrakt oder Pulver angeboten.

Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von Produkten mit Vitalpilzen auf dem Markt: von Nahrungsergänzungsmitteln in Form von Kapseln und Pulvern über Schokolade und andere Süßigkeiten bis hin zu Getränken wie Kaffee oder Teemischungen. Doch was macht die sogenannten „Vitalpilze“ eigentlich so besonders?

Glaubt man den Informationen auf Flyern, Social-Media-Plattformen oder den Webseiten der Hersteller, sollen die Inhaltsstoffe der Pilze, darunter Beta-Glucane und Triterpene, wahre Alleskönner sein: Die Liste der angepriesenen Wirkungen reicht von der Linderung von Asthma, Allergien und Bluthochdruck bis hin zur Unterstützung bei Diabetes, Gicht, Magengeschwüren, Herzerkrankungen und sogar Krebs. „Immunstärkend“, „entzündungshemmend“ und „verjüngend“ sollen die Pilz-Präparate wirken. Das Marketing verspricht erstaunliche Ergebnisse, untermauert von angeblich „wissenschaftlichen Belegen“.

Vitalpilze: Lücke zwischen Labor und klinischer Anwendung

Studien zu pharmazeutisch wirksamen Inhaltsstoffen von Pilzen gibt es reichlich – ein Blick in wissenschaftliche Datenbanken genügt. Ein Beispiel ist der Shiitake-Pilz, dem in der traditionellen Medizin vielfältige gesundheitsfördernde Eigenschaften zugeschrieben werden. Eine Studie aus dem Jahr 2023 hat die Wirkung von Lentinan, einem aktiven Extrakt aus dem Shiitake-Pilz, bei entzündlichen Erkrankungen und Tumorerkrankungen untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass Lentinan sogenannte antitumorale und antikanzerogene Aktivitäten besitzt. In Zellkulturen und Tierversuchen konnten entsprechende Effekte nachgewiesen werden.

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Das Problem: klinische Studien, die diese Wirkungen auch am Menschen bestätigen, fehlen häufig. Dabei ist die Bedeutung von Pilzen für die moderne Medizin unbestritten: Ohne sie gäbe es wichtige Medikamente wie Antibiotika oder Immunsuppressiva nicht.

„Dass viele von diesen Wirkungen, die man in-vitro (im Reagenz-Glas, Anm. d. Red.) belegen kann, oft vorschnell auf den Menschen übertragen werden, ist problematisch“, erklärt Prof. Dr. Marc Stadler, Mykologe und Biotechnologe am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung. „Zumal man bei vielen ‚Vitalpilz‘-Präparaten nicht einmal genau weiß, was drin ist.“ Denn Pilze sind Naturprodukte, deren Wirkstoffkonzentration stark schwankt – beeinflusst durch Standort, Wachstumsbedingungen und Verarbeitung. Diese fehlende Standardisierung macht es schwer, verlässliche Produkte zu entwickeln.

Kein Medikament, sondern Nahrungsergänzungsmittel

Deswegen handelt es sich bei Präparaten aus sogenannten Vitalpilzen auch nicht um Medikamente, sondern um reine Nahrungsergänzungsmittel. Krankheitsbezogene Aussagen sind für sie verboten. Doch die Präsentation vieler Produkte und aggressive Marketingstrategien führen oft zu falschen Erwartungen.

Das bestätigt auch die Verbraucherzentrale. Auf ihrer Website warnt sie: „Viele Menschen halten Heilpilze schon aufgrund des Namens, aber auch wegen der arzneiähnlichen Aufmachung und der entsprechenden Berichterstattung für seriöse Arzneimittel. Bei einem solchen müssten allerdings Wirksamkeit und Sicherheit in einem Zulassungsverfahren nachgewiesen werden.“ Auch Stadler sieht in der Bezeichnung „Vitalpilze“ vor allem ein Marketinginstrument. Die Bezeichnung „Vitalpilz“ sei weder rechtlich geschützt noch genauer definiert.

Prof. Dr. Marc Stadler, Mykologe und Biotechnologe am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung
Prof. Dr. Marc Stadler ist Mykologe und Biotechnologe am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig und Professor an der TU Braunschweig. Seit 2012 leitet er eine 50-köpfige Forschungsabteilung am HZI, die sich auf die Entdeckung neuer antibiotischer Wirkstoffe aus seltenen Pilz- und Bakterienarten konzentriert. © HZI/Verena Meier | HZI/Verena Meier

Unterschätzte Risiken: Allergien, Schimmel und Leberschäden

Neben fehlenden Belegen für die Wirksamkeit können Pilzpräparate auch toxische Substanzen enthalten, insbesondere wenn die Präparate nicht ausreichend geprüft sind. Laut Verbraucherzentrale weichen Produkte aus Asien häufig von den deklarierten Inhaltsstoffen oder Dosierungen ab. Zudem sind sie oft mit gefährlichen Stoffen wie Mykotoxinen oder anderen schädlichen Substanzen belastet. „Man sollte auch bedenken, dass ‚Vitalpilz‘-Produkte, wenn sie denn tatsächlich wirksame Inhaltsstoffe enthalten, durchaus auch zu Wechselwirkungen mit bestimmten Medikamenten führen können“, so Stadler.

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Problematisch wird es auch, wenn Präparate Schimmelsporen enthalten oder statt den Wirkstoffen einer Pilzsorte die Wirkstoffe mehrerer (unbekannter) Pilzsorten enthalten sind. Die möglichen Folgen reichen von allergischen Reaktionen bis hin zu ernsthaften Organschäden. So zeigen Studien, dass der Reishi-Pilz insbesondere bei langfristiger Einnahme oder hohen Dosierungen leberschädigend wirken kann. „Und trotzdem gibt es Präparate, die als harmlose Kaffeezusätze vermarktet werden“, kritisiert Stadler.

„Da es sich nicht um zugelassene Medikamente handelt, fehlen selbstverständlich Studien zu den möglichen Langzeitwirkungen solcher Produkte.“ Vor einer Einnahme wird daher dringend empfohlen, ärztlichen Rat einzuholen und die Präparate keinesfalls als Ersatz für geprüfte Medikamente zu betrachten – insbesondere für Menschen mit chronischen Erkrankungen oder geschwächtem Immunsystem.

„Auch Austernpilze sind Vitalpilze“

Statt zu teuren Vitalpilzpräparaten zweifelhafter Herkunft zu greifen, empfiehlt Stadler einen einfacheren und sichereren Weg: den Genuss von Speisepilzen. „Ein Austernpilz oder ein Stachelbart ist auch ein ‚Vitalpilz‘, also ein Pilz, der tatsächlich etwas zu einer gesunden Ernährung beiträgt“, so der Experte. Pilze sind fett- und kohlenhydratarm, enthalten wichtige Vitamine und Mineralstoffe sowie Ergosterol, das der Körper zu Vitamin D2 umwandeln kann. Direkt und frisch verzehrt, bieten sie eine gesunde, natürliche und vor allem risikofreie Alternative zu Nahrungsergänzungsmitteln.

Prof. Dr. Marc Stadler ist Mykologe und Biotechnologe am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig und Professor an der TU Braunschweig. Seine Expertise in industrieller Mikrobiologie und pilzlicher Biodiversitätsforschung ist international anerkannt. Seit 2012 leitet er eine 50-köpfige Forschungsabteilung am HZI, die sich auf die Entdeckung neuer antibiotischer Wirkstoffe aus seltenen Pilz- und Bakterienarten konzentriert.