Berlin/München. Body Doubling soll bei ADHS-Symptomen helfen. Eine Neurologin erklärt, was das ist und wie Betroffene die Technik nutzen können.

Kaum sitzt man endlich am Schreibtisch, da wird man von irgendetwas abgelenkt und die Gedanken schweifen ab. Besonders Menschen mit der Diagnose AD(H)S (Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung) leiden oft unter Konzentrationsschwäche, schneller Ablenkbarkeit, Desorganisation und Stimmungsschwankungen. Besonders das Fokussieren und das Beenden einer Aufgabe stellen für viele eine große Herausforderung dar. In den sozialen Medien wird jetzt eine vermeintliche Lösung dafür angepriesen: Body Doubling.

Es soll Menschen mit AD(H)S helfen, sich besser zu organisieren und zu konzentrieren. Aber was ist Body Doubling eigentlich? Und hilft es Betroffenen tatsächlich? Die ADHS-Spezialistin Carolin Zimmermann, Fachärztin für Neurologie und Nervenheilkunde mit eigener Praxis in München, erklärt, was es mit der Technik auf sich hat.

ADHS: Was ist Body Doubling?

Ursprünglich, so erklärt Zimmermann, komme der Begriff des Body Doublings aus dem Englischen. „Damit ist gemeint, dass es in Anwesenheit einer anderen Person leichter ist, bestimmte Aufgaben zu erledigen. Dabei kann diese Person direkt mit im Raum oder auch virtuell zugeschaltet sein.“

Dies werde besonders bei ADHS – einem der Schwerpunkte der Praxis von Zimmermann – zunehmend von Patienten auf eigene Initiative genutzt, erläutert sie weiter. Der Partner beim Body Doubling müsse nicht das Gleiche manchen, wie man selbst. „Allein dieser soziale Druck, dass da jemand ist, der in gewissem Sinn ein Auge auf einen hat, hilft vielen Patienten mit ADHS sich nicht ständig ablenken zu lassen und Dinge zu beenden.“

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Home-Office und ADHS: Entstehung von Body Doubling

Besonders in der Corona-Zeit haben viele mit Homeoffice angefangen und sich damit schwergetan, sich während der Arbeit zu konzentrieren. „Da entstanden dann einige Portale, die anboten, sich einen virtuellen Buddy zu suchen. Das wurde von vielen Menschen, besonders von ADHS-Patienten genutzt“, erinnert sich Zimmermann.

Vor allem im Zusammenhang mit ADHS sei das Body Doubling dann in die sozialen Medien gekommen. „Aber es gibt bisher überhaupt keine wissenschaftliche Evaluation, dass es funktioniert.“ Trotz fehlender medizinischer Studien, glaubt Zimmermann an die Technik des Body Doublings.

Body Doubling und ADHS: Was bringt die Technik?

„Ich selber arbeite in einer Praxis und bekomme tagtäglich die Rückmeldung, dass das hilft“, berichtet sie aus ihrem Arbeitsalltag. „Es berichten immer wieder Patienten, dass sie sich zum Lernen mit einem Kommilitonen online verabreden und so auf ihre Prüfungen lernen“, sagt sie. Das gelinge deutlich besser, als alleine vor den Büchern zu sitzen. Das Gleiche gelte für einige beim Arbeiten im Homeoffice, wo es den Drang aufzustehen und anderes nebenher zu machen reduziere.

Zumindest in Planung sei die Erforschung des Body Doublings allerdings. Neben den ärztlichen Berufsverbänden sei hier auch die Selbsthilfe-Vereinigung „ADHS Deutschland“ sehr aktiv.

Unterscheidung von anderen Konzentrationsmethoden

Eigentlich sei bereits in der Bibliothek zu sitzen, eine Form von Body Doubling. Dabei sei dies lediglich ein neuer Begriff, der das Prinzip auf den Punkt bringe. Das Ziel sei, sich mit jemandem zu verbinden, der vor ähnlichen Herausforderungen steht, von dem man sich motivieren lassen kann, von dem man sich Sachen abschauen kann und der vielleicht sogar einen gewissen sozialen Druck ausübte. „Ich denke, das ist eine Sache, die Menschen immer schon genutzt haben und jetzt hat es einen Namen bekommen“, findet Zimmermann.

Das Konzept, dass eine Person auch virtuell zugeschaltet sein könne, sei während Corona dazugekommen. Damit böten sich laut Zimmermann auch viel mehr Anwendungsmöglichkeiten: „Natürlich lerne ich in der Bibliothek, aber die Spülmaschine kann nur zu Hause ausgeräumt werden. In diesem Sinne ist das ein neues Konzept.“

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Wann ist Body Doubling sinnvoll?

Das Body Doubling soll vor allem helfen, sich besser auf eine Aufgabe zu konzentrieren und diese zu beenden, bevor die nächste begonnen wird. Zimmermann erklärt: Wer etwa durch ADHS Schwierigkeiten habe, aufzuräumen, seine Wohnung sauber zuhalten bzw. sein Geschirr abzuspülen, dem könne das nutzen. Zwar gebe es noch kein standardisiertes Body Doubling, sinnvoll sei jedoch sicher das Besprechen der geplanten Tasks, möglicherweise ein Austausch von Ideen zur Lösung der Probleme und eine Erfolgskontrolle hinterher. „Das motiviert, dass man sitzen bleibt und nicht aufsteht und hinausgeht und raucht oder sonst irgendwas macht.“

Dabei müssten die Partner beim Body Doubling nicht die gleiche Aufgabe erledigen. Während der eine lerne, könne der andere beispielsweise aufräumen. „Man würde das mit stummgeschaltetem Bildschirm machen, sodass der andere, der arbeitet, nicht gestört ist.“ Notwendig sei die Bereitschaft, dem anderen Einblicke in seine Privatsphäre zu gewähren. „Da ist die Frage: Inwieweit bin ich bereit, dem anderen meine Wohnung oder mein Zimmer zu zeigen?“

Praktische Umsetzung von Body Doubling

Body Doubling könne allerdings auch ganz niederschwellig mit einem Freund, einem Kommilitonen oder einem Kollegen umgesetzt werden. Wer sich tiefer mit dem Thema beschäftigen möchte, kann sich an die Selbsthilfegruppe des ADHS Deutschland e.V. wenden und sich dort informieren. Es gibt allerdings auch kommerzielle Programme als Apps, die bei der Suche nach einem Partner für das Body Doubling helfen können.

Einigen ihrer Patienten empfiehlt Zimmermann Body Doubling bereits: „Ich gebe den Impuls dazu und verweise auf die Selbsthilfe.“ Struktur und Sport seien wesentliche Säulen der Therapie im verhaltenstherapeutischen Sinne, dabei unterstütze das Body Doubling die Arbeitsstruktur.

Klar ist für Zimmermann allerdings, dass für eine gute Therapie von ADHS mehr als nur Body Doubling notwendig ist. Die Ärztin betont: „Wer Fragen zum Thema ADHS hat, kann sich an die Selbsthilfe ADHS wenden und dort beraten lassen. Eine Diagnose ADHS sollt aber auf jeden Fall ärztlich oder psychotherapeutisch gestellt werden und fundiert sein, um gezielte Therapieempfehlungen zu geben.“