Berlin. Forscher haben am Galgenberg bei Quedlinburg ein Skelett in einem Sarg entdeckt. Was hat es mit dem grausamen Hinrichtungsritual auf sich?

Bis 1871 war es in Deutschland üblich, zum Tode Verurteilte am Galgen zu hängen – ein grausames Schauspiel, das sowohl der Bestrafung der Verurteilten als auch der Demonstration einer strengen Justiz diente. Der Galgenberg bei Quedlinburg, eine ehemalige Richtstätte am Nordrand des Harzes, ist ein eindrucksvolles Beispiel dieser Form der Bestrafung. Archäologische Funde zahlreicher Skelette und Skelettteile zeugen von der grausamen Vergangenheit dieses Ortes, der bis 1809 für Hinrichtungen genutzt wurde.

Rätselhafter Sarg am Galgenberg: Hinweise auf Selbstmord entdeckt

Bei aktuellen Ausgrabungen des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Halle auf dem Galgenberg bei Quedlinburg (Sachsen-Anhalt) haben Archäologen einen ungewöhnlichen Fund gemacht. Im Gegensatz zu den bisher entdeckten Skeletten, die meist verscharrt und zum Teil gefesselt unter dem Galgen lagen, wurden nun menschliche Überreste gefunden, die in einem Holzsarg bestattet wurden. Der Leichnam lag gut erhalten mit gefalteten Händen auf dem Rücken und war mit einer Rosenkranzkette versehen.

„Diese vergleichsweise würdevolle Bestattung an einer Richtstätte deutet eher auf einen Freitod als auf eine Hinrichtung hin“, erklärt die Archäologin Marita Genesis vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Halle. Wer sich das Leben genommen hatte, durfte im Mittelalter und darüber hinaus nicht auf einem normalen Friedhof bestattet werden.

Im Mittelalter fürchtete man die Auferstehung der Toten

Bei den Ausgrabungen stießen die Archäologen auch auf ein weiteres ungewöhnliches Grab, in dem ein Mann auf dem Rücken liegend bestattet wurde. Auf der Brust des Mannes lagen große Steine. Die Forscher vermuten, dass es sich um ein „Wiedergängergrab“ handelt – eine im mittelalterlichen Europa weit verbreitete Praxis, die verhindern sollte, dass Tote aus ihren Gräbern auferstehen. Die Steine sollten den Leichnam am Boden halten und eine übernatürliche Wiederkehr – etwa als Vampir.

Hinrichtungsspuren im Harz: Eine Archäologin hält einen Sargnagel in die Höhe.
Hinrichtungsspuren im Harz: Eine Archäologin hält einen Sargnagel in die Höhe. © DPA Images | Matthias Bein

Auch schon 2023 entdeckte Knochengruben wurden untersucht. Die darin gefundenen Leichen waren willkürlich gestapelt, mit Skelettresten in mehreren Schichten. Nach Ansicht der Forscher deutet dies auf regelmäßige Reinigungsarbeiten durch die Henker hin. Unter den Überresten fanden die Archäologen auch persönliche Gegenstände wie Knöpfe, Schnallen und Kleidungsstücke. Diese Funde legen nahe, dass nicht alle Verurteilten in Büßerhemden hingerichtet wurden; einige trugen offenbar ihre Alltagskleidung.

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Die Forscher hoffen, durch weitere Ausgrabungen die grausamen Rituale der damaligen Zeit besser verstehen zu können. „Insbesondere die tatsächlich angewendeten Todesstrafen und die vorgefundenen Daten zur Alters- und Geschlechterdifferenzierung lassen ein völlig neues Bild der tatsächlichen Urteilsvollstreckung auf mittelalterlichen und neuzeitlichen Richtstätten entstehen“, sagt Genesis.

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