Berlin. Mithilfe von Tumorkopien suchen Mediziner nach vielversprechenden Therapien gegen Krebs. Was das kostet und wer davon profitieren könnte.

  • Jeder Tumor ist einzigartig
  • Ein Test außerhalb des Körpers mithilfe einer 3D-Kopie des Tumors soll die Krebstherapie verbessern
  • Entwickelt worden ist das Verfahren in Berlin

Dieser Ansatz könnte die Behandlung von Krebs stark verändern: Im Labor gezüchtete Kopien eines Tumors werden mit Krebsmedikamenten behandelt, um sie außerhalb des Körpers auszuprobieren. Welche Mittel wirken, welche wirken nicht? Am Ende der Tests gibt es verlässliche Daten zu den Erfolgsaussichten einer Therapie. Mehrere Firmen arbeiten an der Umsetzung –auch ein Unternehmen aus Berlin.

Für viele Krebserkrankungen wie Lungen-, Darm- oder Brustkrebs gibt es Standardtherapien. Diese stützen sich auf Studien mit vielen Teilnehmenden. Doch innerhalb einer Krebsart kann es Tumor-Untergruppen geben, die sich in ihren Eigenschaften stark unterscheiden. Sie müssen in der Regel unterschiedlich behandelt werden.

Krebs: Chemotherapie kann ins Leere laufen

Generell gilt: Jeder Tumor ist einzigartig. Auch deshalb zeigen verordnete Chemotherapien nicht bei allen Krebspatientinnen und -patienten die gleiche Wirkung. Manche versagen sogar auf ganzer Linie. „Dabei lässt sich erst nach Wochen und Monaten während der Therapie feststellen, wie ein Patient auf das Medikament reagiert“, sagt Zellbiologe Dr. Christian Regenbrecht. In der Folge könne wertvolle Behandlungszeit, die nicht effektiv genutzt wurde, verstreichen.

Christian Regenbrecht, Krebsforscher der Firma ASC Oncology.
Christian Regenbrecht, Krebsforscher der Firma ASC Oncology. © ASC Oncology | Angela Regenbrecht

Regenbrecht ist Krebsforscher und Chef des Unternehmens ASC Oncology. Die Firma aus Berlin-Buch hat sich dem Prinzip der funktionellen Präzisionsmedizin verschrieben. Sie will die Behandlung von Krebs an die Erkrankung des Individuums anpassen.
Regenbrecht und sein Team haben dazu in jahrelanger Arbeit einen Test entwickelt, der wirksame Medikamente oder gefährliche Resistenzen mit hoher Treffsicherheit voraussagen soll – vor dem Start der Therapie, ohne Nebenwirkungen oder Tierversuche.

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„Was wir für unseren Test brauchen, ist entweder aus einer Operation oder aus einer Biopsie, also einer Gewebeentnahme mit Hohlnadel, ein Stück lebendes Tumorgewebe. Dann züchten wir im Labor 3D-Kopien, sogenannte Organoide. Das sind Zellkulturen, an denen wir Medikamente oder auch Medikamentenkombinationen testen“, erklärt Regenbrecht im Gespräch mit dieser Redaktion. Nach etwa 28 Tagen lägen die Ergebnisse vor.

Ob der Test Kassenleistung wird, ist offen

Auf Grundlage der Ergebnisse berät ASC Oncology dann die behandelnden Ärzte. „Wir geben ihnen zusätzlich zu unserem Bericht auch immer die Originaldaten mit an die Hand, damit sich jeder ein Bild davon machen kann, wie wir die Tests interpretiert haben und warum wir dieses oder jenes Medikament vorschlagen“, sagt Regenbrecht.

400 bis 500 Mal hat der Test bisher zur Therapiefindung beigetragen. Im breiten Praxisalltag ist er damit noch nicht angekommen. „Wir haben es aber geschafft, die Validität des Tests nachzuweisen. Wir sind bereit für den Markt und verhandeln auch schon mit einem großen Krankenkassenverband“, sagt Regenbrecht. Irgendwann könnte der Test auch in den Leistungskatalog der gesetzlichen Kassen aufgenommen werden.

Organoide von Dickdarmkrebs-Tumoren unter dem Mikroskop.
Organoide von Dickdarmkrebs-Tumoren unter dem Mikroskop. © ASC Oncology | ASC Oncology

Bisher entscheidet bei Kassenpatienten laut Regenbrecht der Medizinische Dienst im Einzelfall über den Einsatz. Die Kosten für das Verfahren sind abhängig von der Menge der getesteten Medikamente. Sie belaufen sich auf mindestens 5700 Euro.

Für Regenbrecht hat das in Berlin entwickelte Verfahren deutliche Vorteile gegenüber einer anderen Form der Präzisionsmedizin: der sogenannten Tumorsequenzierung. Dabei werden Biomarker oder Teile des Erbguts von Tumoren untersucht, um die Therapie zu verbessern. Eine Sequenzierung führe aber nur in weniger als zehn Prozent der Fälle zu einer erfolgreicheren Behandlung, so Regenbrecht.

Erfinder: Auch ethische Argumente sprechen dafür

Dem Zellbiologen zufolge hat das Ausprobieren von Wirkstoffen an Zellkulturen vor allem für zwei Patientengruppen einen großen Nutzen: für Menschen mit fortgeschrittenen Tumoren, „die schon ein, zwei oder möglicherweise auch drei nicht wirksame Tumortherapien durchgemacht haben und auf die der Patient nicht angesprochen hat“. Darüber hinaus für Patienten mit seltenen Tumoren, für die es keine Standardtherapie gibt. „Ich erinnere mich daran, dass wir zum Beispiel auf Empfehlung eines Onkologen eine Patientin aus Australien sehr erfolgreich unterstützt haben, die einen Tumor hatte, der bisher weltweit erst 30 Mal diagnostiziert worden ist.“

Neben finanziellen und medizinischen Vorteilen sieht Regenbrecht auch ethische Argumente für die funktionelle Präzisionsmedizin. Diese könne Patientinnen und Patienten dabei helfen, die Erfolgschancen einer Therapie einzuschätzen und zu den möglichen Nebenwirkungen ins Verhältnis setzen zu können. Regenbrecht: „Hier geht es nicht nur um rein medizinische Fakten. Es geht darum, mündig über sein Leben entscheiden zu können.“

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Dr. Rene Jackstadt, Biochemiker vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und Heidelberger Institut für Stammzelltechnologie und Experimentelle Medizin beschäftigt sich seit Jahren mit der Präzisionsonkologie. „Ich kenne die Vorgehensweise und das Prinzip, Therapien an Tumormodellen auszuprobieren. Daran arbeiten derzeit mehrere Firmen weltweit. Ich denke, dass dieser Ansatz sehr vielversprechend ist“, so Jackstadt. Dass er nicht nur in Einzelfällen, sondern auch in großen Patientenkohorten funktioniere, dafür gebe es „mehrere positive Signale, aus meiner Sicht aber noch keine 100-prozentige Garantie“.