Berlin. Wenn der Sex ausbleibt, belastet das oft die Beziehung. Doch viele Paare reden nicht darüber. Die Sexologin Jana Welch weiß, was zu tun ist.
Am Anfang ihrer Beziehung befinden sich die meisten Paare in der Honeymoon-Phase: Sie sind verliebt, können nicht genug voneinander bekommen und haben ständig Sex. Im Durchschnitt dauert es ein Jahr, bis die rosarote Brille langsam verblasst und den Blick auf hochgeklappte Klodeckel, Socken neben dem Wäschekorb und lange Haare im Waschbecken freigibt.
Aus der ersten Verliebtheit wird ein gemeinsamer Alltag, Sex immer weniger und aus einst wilden Nächten gemütliche Abende vor Netflix. Doch ab wann wird das zum Problem? Das erklärt Jana Welch im Interview. Welch ist Sexologin und hilft Paaren dabei, ihr Sexleben wieder in Schwung zu bringen.
Frau Welch, wann wird fehlender Sex zum Problem?
Jana Welch: Wenn ein Part darunter leidet oder es eine unausgesprochene Sexlosigkeit gibt. Wenn ein Paar ganz lange keinen Sex hat und diese Sexlosigkeit im Raum steht, verbreitet sich das wie ein Gift. Ein Teil fühlt sich abgelehnt und das Paar gerät in eine Abwärtsspirale. In solchen Momenten wünsche ich mir, dass das Paar sagt: Wir haben jetzt schon seit drei Monaten keinen Sex. Wie fühlst du dich damit? Vermisst du etwas? Wie könnten wir das ändern? Sind beide mit der Sexlosigkeit einverstanden, sehe ich das Thema hingegen unproblematisch.
Warum haben Paare mit der Zeit weniger Sex?
Welch: Alltagsthemen wie Prüfungsstress, Schwangerschaft oder Stress im Beruf können natürlich dafür sorgen, dass man eine Zeit lang weniger Lust hat. Und das ist auch OK. Eine langfristige Sexlosigkeit hat meistens andere Ursachen: Besonders Frauen lieben kreativen Sex. Nichts ist langweiliger, als immer wieder das gleiche Programm abzuspielen. Verführung spielt dabei eine große Rolle. Viele Paare verführen überhaupt nicht mehr. Sie glauben, dass sie sich den ganzen Tag um nichts kümmern müssen und am Abend auf Knopfdruck zur sexy, lustvollen Femme Fatale oder zum Verführer werden. Das funktioniert nicht.
Wir brauchen Alltagssexualität, damit wir uns begehrt fühlen – nur dann kriegen wir Lust. Jedes Paar sollte sich mal fragen: Wie viel Alltags-Erotik gibt es überhaupt noch in der Beziehung? Und damit meine ich nicht, der Partnerin an den Busen zu grapschen, sondern: Wie viel Sinnlichkeit gibt es? Stattdessen gucken die Paare jeden Abend Netflix und kuscheln.
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Welche Tipps haben Sie für mehr Alltagssexualität?
Welch: Der Mann gibt seiner Frau beim Nachhausekommen oft einen Kuss, den er auch seiner Mutter geben könnte. Besser wäre, sich für ein paar Sekunden in die Augen zu gucken und sich dann zu umarmen oder auch mal mit der Zunge zu küssen. Viele Paare küssen oder berühren sich kaum noch. Mein Tipp: Schlaft mal ohne euren Schlafanzug. Und arbeitet an eurer Verführung. Frauen beschweren sich oft darüber, dass ihre Männer zu plump seien. Da kann ich nur sagen: Macht's halt mal selber! Geht in die aktive Rolle!
Alles, was Sinnlichkeit fördert, ist super. Guck euren Partner mal wieder genau an und werdet euch bewusst, was ihr aneinander sexuell anziehend findet. Oder spielt miteinander: Macht eine Nackt-Kissenschlacht, spielt nackt Verstecken oder tanzt nackt miteinander. Eine blühende Sexualität braucht Impulse, sie möchte sprießen und blühen. Und da muss man eben auch ein bisschen gießen, sonst wird das nichts.
Bedeutet fehlender Sex, dass die Beziehung schlecht läuft?
Welch: Eine Beziehung steht auf zwei Säulen: der Liebessäule und der Sexsäule. Die Sexsäule ist das Geheimnisvolle, das Neue, das Aufregende. Die Liebessäule möchte genau das Gegenteil: Zuverlässigkeit und Rituale. Ich kenne viele Paare, die auf dieser Ebene super sind. Die sind ein tolles Team, verstehen sich gut, haben ähnliche Interessen und können es ganz gut aushalten, keinen Sex zu haben. Deswegen würde ich nicht pauschal sagen, dass eine Beziehung schlecht ist, wenn die Partner keinen oder sehr wenig Sex haben. Trotzdem finde ich, dass häufig viel in die Paarebene, aber wenig in die sexuelle Ebene investiert wird.
Wenn der Sex gut ist, hab ich auch Lust drauf. Die Frage ist also: Wie muss Sex schmecken, damit ich Appetit bekomme?
Und, wie muss er schmecken?
Welch: Meine Empfehlung ist ganz klar: weniger Penetration, mehr Berührung, Sinnlichkeit und Neuigkeit. Viele Paare sind so zielgerichtet, dass es ihnen nur um den Orgasmus geht. Wir reden über alles, aber nicht über das Wichtigste: Was fühlst du? Oft sind die Vorspiele viel zu kurz. Die Frau ist gar nicht richtig erregt, der Sex ist unangenehm, aber sie sagt nichts. Natürlich will sie irgendwann nicht mehr.
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Bei Männern erlebe ich das ähnlich. Viele Männer, die zu mir kommen, haben überhaupt keine Lust mehr, weil sie nur noch performen müssen. Sie müssen eine Erektion bekommen und wenn das nicht klappt, fühlen sie sich unmännlich. Das wollen sie sich nicht antun.
Wie lässt sich diese Spirale durchbrechen?
Welch: Kommunikation. Wir müssen lernen, unsere Bedürfnisse zu kommunizieren. Für die meisten heterosexuellen Paare bedeutet Sex Penetration und Performance-Stress. Dabei gibt es so viele Spielarten. Sexualität sollte als positives, sinnliches Erlebnis abgespeichert werden. Dabei muss nicht immer das volle Programm abgespielt werden – manchmal kann es reichen, den Partner zehn Minuten zu streicheln.
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