Berlin. “Zeitbombe Internet“ - lautet der Titel eines Buches, in dem vor dem Kollaps der “wichtigsten Infrastruktur“ der Erde“ gewarnt wird: Zuviele Daten, zuviele Anforderungen - das erhöhe zusehends die Unsicherheit. Eine neues Netz müsse her.

Ist das Internet eine Zeitbombe, steuert das globale Netz auf seine größte Krise zu? Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CDSU) wiegelt ab: "Gar so schwarz malen möchte ich nicht". Aber ein überzeugtes Nein klingt anders: "Es gibt bislang ungeahnte Risiken des Internet, die nicht oder kaum beherrschbar sind", warnt die Ministerin, "es gibt systembedingte Sicherheitslücken und keinen hundertprozentigen Schutz vor Datenschutzdiebstahl." Notwendig sei "eine Debatte über das Netz der Zukunft".

Die hat schon begonnen, vor allem in den USA, wo Netz-Mitgründer David Clark heute sagt: "Das Internet ist kaputt". Jetzt soll nach dem Willen Aigners auch Deutschland diskutieren über neue Netz-Strukturen, mehr Sicherheit, schärfere Gesetze - und am Ende auch über die Frage, ob wir gar "ein neues Netz" brauchen. Die Ministerin lässt diese Frage für sich zwar offen, aber sie stellte nun in Berlin ein Buch vor, dessen Thesen in der Forderung gipfeln: "Ein neues Netz muss her."

Das Internet war nie für die jetzigen Anforderungen konzipiert 

In "Zeitbombe Internet" warnen die Autoren Thomas Fischermann und Götz Hamann, das Internet als "wichtigste Infrastruktur unseres Planeten" sei zu schwach für die steigenden Anforderungen. Die Welt werde dadurch immer störanfälliger und gefährlicher. Nie sei das für andere Zwecke konzipierte Internet dafür vorgesehen gewesen, derartige Massen auch überlebenswichtiger Daten zu befördern und zu verwalten. "Das Internet steuert auf die größte Krise seiner Geschichte zu", warnen die Autoren, es gebe zum Beispiel keinen wirklichen Schutz gegen Cyber-Attacken.

Die Autoren fordern deshalb, besonders sensible Bereiche - Militär, Kraftwerke, Verkehrssysteme, Krankenhäuser - ganz vom Internet abzukoppeln, andere Einrichtungen wie Meldeämter noch viel besser zu schützen. Auch Geschäfte wie das Onlinebanking sollten durch die Trennung der Informationsflüsse sicherer werden. Mit einem neuen Datenschutzrecht müssten Unternehmen zu pauschalem Schadensersatz bei Datenverlust gezwungen werden - das werde den Anreiz zu stärkeren Sicherheitsvorkehrungen erhöhen. Dem Staat werfen die Autoren vor, bei seiner Schutzfunktion versagt zu haben. Das will Aigner so natürlich nicht stehen lassen.

Gleichwohl sieht sie dringenden Handlungsbedarf. Zwar sei das Internet heute unverzichtbar, aber wenn es nicht mit Hilfe neuer Technologien sicherer werde, werde sich mindestens ein Teil der Nutzer abwenden. Aigner fordert deshalb eine grundlegende Modernisierung des Datenschutzrechts - in Deutschland, aber auch international. Wenn es nicht gelinge, das Internet sicherer zu machen, werde sich zumindest ein Teil der Nutzer abwenden.

Aigner will Datensammelwut im Netz stoppen

Aktuell müssten auf EU-Ebene für das Internet Grenzen gezogen werden etwa bei Gesichtserkennungsdiensten, Persönlichkeitsprofilen oder Standortdaten. "Der Datensammelwut mancher Internet-Anbieter muss Einhalt geboten werden", verlangt Aigner. Facebook mit seinen 700 Millionen Mitgliedern habe bereits mehr Daten gesammelt als alle europäischen Meldeämter zusammen. Nächste Woche fliegt die Ministerin in die USA, will unter anderem mit Vertretern von Google, Facebook und Microsoft über Datenschutz sprechen. Ihre Forderung: Die Nutzer müssen wissen, was mit den Daten geschieht. Und sie müssten ausdrücklich gefragt werden, bevor die Daten zu anderen Zwecken weitergeleitet werden.

"Die Mitgliedschaft in solchen Netzwerken ist nicht kostenlos", warnt Aigner, "wir zahlen mit unseren Daten."