Jamaika. Aktive Kaffeeliebhaber kommen auf Jamaika auf ihre Kosten. Wer den Blue Mountain Peak erklimmt, kann die hochgelegene Kaffeeplantage besichtigen.

Collins Aussage wirkt wenig vertrauenerweckend. „Yeah Mon, let’s go where even Landrovers get killed.“ Frei übersetzt: Es wird ungemütlich. Rund anderthalb Stunden quält der 38-jährige Jamaikaner den betagten Allradler mit den beschädigten Radkappen und dem zerkratzten Lack die Straße zum Blue Mountain Peak im Osten der Karibikinsel hinauf. Meist im Schritttempo, mehr ist angesichts oft eimertiefer Schlaglöcher und Haarnadelkurven nicht drin.

Zeit, um die umgebende Szenerie aufzusaugen. Tiefe Täler schneiden sich in die Gebirgsmassen, dichte Vegetation grünt an den Hängen und die Kuppen der Berge sind in ein waberndes Kleid aus Wolkenwatte gewandet.

Gegenverkehr auf der gerade einmal knapp drei Meter breiten Piste mit hoher Absturzgefahr gibt es nicht – kein Wunder, warnen Schilder unbefugte oder nicht angemeldete Neuankömmlinge vor juristischer Verfolgung. Wer hier rangiert, fährt auf wertvollem Privatbesitz, meint Colin. „Wir nähern uns dem Fort Knox der Insel“, sagt der Jamaikaner und liegt mit diesem Vergleich gar nicht mal so falsch. Am Ende der Piste wartet Abbey Green – die auf etwa 1600 Metern gelegene höchste Kaffeeplantage Jamaikas. Zweimal pro Woche fährt er hier hinauf – mal um im Auftrag der Rösterei Gold Cup die reifen Kaffeekirschen zu inspizieren und aufzukaufen. Mal, um Touristen das Geheimnis dieser Delikatesse näherzubringen.

Zu teuer für die Einheimischen

Altrey, einer der Erntehelfer der Plantage, kennt es bereits. Ohne die spektakuläre Gebirgskulisse auch nur eines Blickes zu würdigen, steigt er von seiner kleinen Leiter, streift die Schürze ab und erklärt den Zauber des Jamaican Blue Mountain Coffee. „It’s all in de mist, Mon“, weiß der Rasta und zündet sich eine Selbstgedrehte an. Der andauernde Dunst und Nebel seien der Schlüssel, sagt er. Die feinen Wassermoleküle in der Luft, die Höhensonne und das im Vergleich zu den Stränden in Negril oder Ocho Rios gut zehn Grad kühlere Klima lasse die wertvollen Kirschen länger reifen.

Die Pflanzen versorgen ihre Früchte etwa zehn Wochen länger mit Aromastoffen, was ihnen nach einer schonenden Röstung einen unverwechselbaren Duft und Geschmack verleiht. Sanft legt sich der säurearme Kaffee auf den Gaumen, das geringe Maß an Bitterstoffen sorgt für einen seidigen Abgang und der für herkömmlichen Kaffee typisch herbe Nachgeschmack entfällt.

Ein spezielles Getränk mit einem speziellen Preis. Die hier wachsenden Arabica-Bohnen zählen mit etwa 130 Euro pro Kilo zu den teuersten der Welt. Selbst in den günstigen Supermärkten von Montego Bay im Westen bis zur Hauptstadt Kingston im Osten wechselt der Edelstoff selten für weniger als umgerechnet 45 Euro pro Pfund den Besitzer. Zu teuer für Jamaikaner wie Altrey. „Me cannot afford dem beans“, sagt er im Landesdialekt Patois und schüttelt seinen Kopf mit den dünnen Dreadlocks.

Ein falscher Schritt wäre fatal

Dabei erntet er für seine Dienste einen für örtliche Verhältnisse stolzen Lohn. Seit acht Jahren bewegt er sich gemsengleich an den steilen Hängen der Plantage, inspiziert sorgsam jeden Kaffeestrauch nach den roten und reifen Kaffeekirschen und wirft die richtigen Früchte in einen schmutzigen Leinensack. Pro Beutel gibt es 900 jamaikanische Dollar, etwas mehr als sieben Euro. Ein Top-Pflücker sammelt an guten Tagen locker drei Säcke, und er sei einer der Besten, sagt er stolz. Anschließend landet die Kippe auf dem Boden, und ohne auszurutschen eilt Altrey wieder in die Strauch-Reihe am oberen Hang zurück. Ein falscher Schritt wäre auch fatal: An manchen Stellen fällt der Bergrücken steil ab. Wer hier sein Gleichgewicht verliert, muss mit Knochenbrüchen rechnen.

Kaum einer der größtenteils betuchten japanischen Connaisseure – gut 90 Prozent der jährlich 1,6 Millionen Tonnen Bohnen gehen nach Ostasien –, die in Tokios Coffeeshops zehn Euro pro Tasse des Luxusgetränks ausgeben, macht sich über die schwierigen Arbeitsbedingungen der Kaffeepflücker Gedanken. Auch nicht die britische Königsfamilie, bei deren Empfängen der Kaffee aus der ehemaligen Kronkolonie dem Vernehmen nach niemals fehlen darf. Die Wertschätzung des dunklen Gebräus ist im ehemaligen Mutterland trotzdem so groß, dass so mancher Brite sich vor allem wegen des Kaffees dauerhaft auf Jamaika niederließ.

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Alex Twyman beispielsweise, der 1958 vom Londoner East End auf die Karibikinsel emigrierte. Gemeinsam mit seiner späteren Ehefrau Dorothy, einer gebürtigen Jamaikanerin, gründete er zehn Jahre später die berühmte Old Tavern Estate, mit einer Fläche von 75 Hektar eine der kleineren Kaffeeplantagen in den Blue Mountains. Ums Geld ging es beiden nie, sagt die heute 82-jährige Dorothy, die auch nach dem Tod ihres Gatten die Plantage weiterführt. „We simply loved coffee“, sagt sie und ihre Augen leuchten plötzlich hinter der Brille mit den dicken Gläsern. Diese Liebe wolle sie weitergeben.

Ein Blick über die Schulter

Besonders Touristen profitieren davon. Jede Woche führt Dorothy gut zwei Dutzend Urlauber über ihre Plantage, die keine Lust mehr darauf haben, die Klippenspringer vor Rick’s Café in Negril oder einige der mehr als 80 Vogelarten im Cockpit Country im Inneren der Insel zu beobachten. Wer etwas über guten Kaffee lernen will, besucht eine der 15 Röstereien Jamaikas – oder fährt zu Dorothy Twyman in die Blue Mountains. Ihr Alleinstellungsmerkmal: Als einzige Plantagen-Besitzerin Jamaikas darf Twyman ihre Bohnen selber aufbereiten und verzehrfertigen Kaffee produzieren – mit Absegnung des lokalen Coffee Industry Boards, das sonst jeden Pflanzer verpflichtet, die wertvollen Kirschen aus Qualitätsgründen an eine der Röstereien zu verkaufen.

Besucher können ihr bei der Produktion ihres Spitzenkaffees über die Schulter schauen und die Reihen der Sträucher inspizieren. Wenn sie am Ende in der Küche ihre beiden mehr als 50 Jahre alten Röstmaschinen anschmeißt und sich die Aussichtsplattform des Anwesens mit dem Duft von frischem Medium oder Dark Roast füllt, genießen ihre Gäste atemberaubende Blicke über die Täler bis nach Kingston. Und den Geschmack eines der besten Kaffees der Welt – bei der alten Lady vom Berg ist mindestens eine Tasse gratis.