In die Türkei fliegen die meisten Urlauber um Sonne zu tanken und das Meer zu genießen. Doch wer sich fernab der Touristenstädte aufhält, kann ein wahres Naturparadies entdecken. Statt Bettenburgen erblickt man auf dem einzigen Fernwanderweg des Landes Steilküsten und exotische Tiere.
Erdal schüttelt nur den Kopf, wenn wir morgens die Wanderstiefel schnüren: Wieso klettert jemand freiwillig über die unwegsamen Gebirgspfade, wenn er doch bequem mit dem Boot zur nächsten Bucht fahren könnte. Zu Fuß geht nur, wer sich kein Fortbewegungsmittel leisten kann, sagt der Kapitän. Während die achtköpfige Gruppe auf dem Lykischen Küstenweg über Stock und Stein marschiert, sucht Erdal ein paar Buchten weiter einen windgeschützten Ankerplatz für den Motorsegler Murat IV. und lässt Allah einen guten Mann sein.
Wenn die Wanderer Stunden später erschöpft in der Bucht auftauchen, tuckert Hilfsmatrose Ahmet mit dem Beiboot los, um die Gruppe abzuholen. An Bord dann erst mal raus aus den Wanderstiefeln und rein in die Badeklamotten. Anschließend dann mit einem Sprung ins kristallklare Wasser. „Boot & Hike“ ist eine perfekte Kombination für die Lykische Küste.
Denn die Küste ist steil und stark zerklüftet, die schönsten Buchten sind nur zu Fuß oder per Boot zu erreichen. Und deshalb erlebt man auf dem einzigen Fernwanderweg des Landes ein Stück Türkei ohne Bettenburgen. Man kann an einsamen Stränden baden und bekommt für vier Euro ein leckeres Mittagsmahl. Ein Ziel ist schöner als das andere: die Blaue Lagune von Ölüdeniz aus der Panoramaperspektive, die Geisterstadt Karaköy oder das Schmetterlingstal.
Wandern ist kein Volkssport
Kate Clow, eine Engländerin, die in der Türkei lebt, hat den Likya Yolu „erfunden“. Kate und zahlreiche Helfer haben dafür gesorgt, dass einzelne Wegpassagen miteinander verbunden und ausgeschildert wurden – ein Äquivalent zum Alpenverein gibt es hier nicht, Wandern ist in der Türkei kein Volkssport. Auf dem Lykischen Wanderweg, insgesamt 500 Kilometer von Fethiye bis kurz vor Antalya, trifft man ausschließlich ausländische Touristen, und davon auch nicht allzu viele. In vier Wochen kann man die gesamte Strecke laufen, sollte aber die eigene Campingausrüstung im Rucksack haben, denn nicht überall finden sich geeignete Übernachtungsmöglichkeiten.
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Am ersten Tag geht’s von Ücagiz hinauf zur Burg von Simena. Der Einstieg in den Lykischen Weg ist nicht so einfach zu finden. Gut, dass Wanderführerin Juliette Bescheid weiß. Eine lockere Tour zum Eingewöhnen, hat sie uns angekündigt – stimmt sicher, wenn’s nur nicht so heiß wäre. In Simena wird’s dann auf einmal voll. Zwar wurde der kleine Ort nie ans öffentliche Straßennetz angeschlossen, doch die anderen Touristen, denen wir jetzt begegnen, sind mit dem Ausflugsboot vorgefahren. Es ist wie in den Alpen: Die einen kraxeln hoch, die anderen nehmen die Seilbahn. Oberhalb von Simena befindet sich eine mittelalterliche Burg. Hier hat man einen tollen Ausblick aufs Meer und auf die gegenüber liegende Insel Kekova und die versunkene Stadt dort.
Da sich die Küste hier langsam absenkt, um 15 Zentimeter innerhalb von 100 Jahren, liegen die Fundamente, Hafenanlagen und Bäder aus der Römerzeit unter Wasser. Auch Erdal war nicht untätig. Er hat Brassen gefangen, die abends auf dem Schiff gegrillt und bei Wellenrauschen und untergehender Sonne serviert werden – ein perfekter Abschluss eines schönen Tages.
Sarkophage und Ziegenpfade
An der Lykischen Küste stößt man überall auf Sarkophage. Die steinernen Särge, in denen hochgestellte Persönlichkeiten in der Antike beigesetzt wurden, stehen auf dem Parkplatz in Ucagiz, links und rechts der Ziegenpfade oder mitten im Wasser, wie in Aperlai, dem Ziel am nächsten Tag. Der Weg führt vorbei an uralten Oliven- und Johannisbrotbäumen zunächst hoch zur verfallenen antiken Stadt Apollonia: eine Ruine mit einem kleinen Amphitheater und einer eingekrachten byzantinischen Kirche. Der Ort wirkt seltsam unberührt, keine Ausgrabungen, keine Abgrenzungen oder Verbotsschilder.
Die Bucht unterhalb von Apollonia haben die Schildkröten für sich entdeckt. Sie kehren an den Strand ihrer Geburt zurück. Die Bucht ist bei ihnen vielleicht deshalb so beliebt, weil hier kein Badetrubel herrscht und das Wasser dort durch die geschützte Lage besonders warm ist.
Als Königsetappe des Lykischen Küstenwegs wird vielfach die Route an der Südwand des Baba dagi nach Faralya bezeichnet. Hier oben auf den schmalen Mulipfaden sieht man den wohl bekanntesten Strand der Türkei in seiner ganzen Pracht, aber ohne den Rummel dort unten: die Blaue Lagune von Ölüdeniz. Später geht‘s mit dem Dolmus, einem der türkischen Sammeltaxis, von Faralya runter zum Traumstrand.
Doch ins Wasser springen wir eine Bucht weiter – dort, wo es schön ruhig ist und unser Segler bereits ankert.