Essen. Sharjah ist zwar das drittgröße der sieben Scheichtümer, aber Touristen bisher eher unbekannt. Statt Strand und Shopping gibt es hier Kultur.
Eine Szene wie aus 1001 Nacht: Mit Rosenwasser und Schokolade, eingewickelt in Goldpapier, begrüßt Fatima Almogani ihre Gäste. Prächtig herausgeputzte Enkelkinder umschwirren sie, wir werden gebeten, auf dem mit kostbaren Teppichen ausgelegten Areal im Innenhof Platz zu nehmen. Datteln, Kaffee, Tee werden angeboten. Dann bittet Fatima in ihren Palast. Selbstbewusst, stolz und sicher tritt Fatima auf. Sie scheint in ihrer Rolle als Vermittlerin zwischen den Kulturen aufzugehen. Die 58-Jährige führt ein „offenes Haus“, fast 1000 Besucher empfängt sie jährlich, um für das Leben im islamisch geprägten Emirat Sharjah Verständnis zu wecken.
Sharjah? Ja, Abu Dhabi kennen alle, Dubai sowieso, und nun also Sharjah, gesprochen Schardscha. Es ist mit 3,3 Prozent der Landfläche das drittgrößte der sieben Scheichtümer, die als Vereinigte Arabische Emirate (VAE) den Zipfel zwischen Persischem Golf und Arabischem Meer beherrschen. Mit immensen Öl- und Erdgasvorkommen sichern die Scheichs ihre politische Ruhe und ihren Untertanen ein sicheres Auskommen.
Dubai - Stadt der Superlative
Während Dubai vor allem mit Strand, Shopping und Superlativen wie dem mit 828 Meter höchsten Wolkenkratzer Burj Khalifa punktet, wirbt das benachbarte Sharjah mit dem Titel „Hauptstadt der islamischen Kultur 2014“ um die bildungsbeflissenen Touristen. „In Dubai arbeitet man, in Sharjah wohnt und lebt man“, sagt Nazir, der Taxifahrer, der die internationalen Gäste am Flughafen von Dubai abholt und in etwa 20 Minuten nach Sharjah-Stadt bringt. Ganz ohne Grenzkontrollen. Vor acht Jahren ist Nazir aus Bangladesch in die VAE gekommen, alle zwei Jahre kann er sich einen Heimflug leisten. Es sind Ausländer wie Nazir, die als Taxifahrer arbeiten, in Hotels, Restaurants, Geschäften, am Hafen, in der Industrie. Englisch ist die Sprache, die alle verbindet. Für den Wohlstand und das Wohlergehen der Bosse (und Staatsbediensteten), das sind die einheimischen Emiratis, sorgt in Sharjah seit 1972 Scheich Sultan bin Mohammed aus der Herrscherfamilie al-Qasimi.
Fatima will Vorurteile abbauen
Auch Fatimas Familie wohnt in einem Haus, das der Scheich spendiert hat. Den großen Wohnraum, in dem einst ausschließlich Männer alle wichtigen Dinge entschieden, hat sie zum gediegenen Salon mit Sesseln und Sofas umgestaltet. Die Tische biegen sich unter den arabischen Köstlichkeiten, es wird aufgefahren, als hungerten die Gäste seit drei Tagen.
Zur arabischen Gastfreundlichkeit gehört auch das genau vorgeschriebene Zeremoniell des Kaffeeeinschenkens. Fatima nimmt die Kanne in die linke, die Tasse in die rechte Hand und erklärt: „Der Älteste wird zuerst bedient, es geht von rechts nach links. Und immer im Stehen. Wer nichts mehr möchte, der wackelt einfach mit seiner Kaffeetasse.“
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Fatima will Vorurteile abbauen, bezeichnet sich selbst als „lucky woman“, als Frau, die Glück gehabt habe im Leben. Ihr Mann Hassan hat sie immer unterstützt, sie konnte Sozialwesen studieren, trotz ihrer vier Töchter und vier Söhne sei sie immer berufstätig gewesen. „Ich bin die erste Frau meines Mannes – und die letzte.“ Bis zu drei Frauen könne ein Emirati heiraten, „aber das ist den meisten inzwischen zu teuer“. Welche Ansprüche manche Ehefrau stellt, ist im sogenannten Frauenzimmer zu bewundern, wo sich Fatima mit ihren Freundinnen trifft: Auch hier Sessel, Sofas, Kissenberge, dieses Mal quietschbunt, überall stehen Kerzen, Etageren mit Süßigkeiten und Obst. Nebenan ist ihr Schatzkästlein, ein Raum mit Geschirr und Gewehren, einer Bettstatt und Bügeleisen.
Ausländer müssen Kleidervorschriften einhalten
Fotos erzählen ihre Familiengeschichte(n). Der Clou: Fatima bekommt für ihre Sammlung vom Scheich ein Museum in Sharjah Stadt eingerichtet.
Während unseres Besuchs trägt Fatima eine mit Silberfäden durchzogene schwarze Abaya und eine Shaila, das Kopftuch. Ihr Mann die lange weiße Dishdasha, die muslimische Kopfbedeckung namens Ghutra sowie ein schwarzes Stirnband, Ayal genannt. „Je gläubiger, umso verhüllter“, erklärt unsere Gastgeberin. Andererseits schnüren voll verschleierte Frauen im Niqab, bei dem nur noch die perfekt geschminkten Augen zu sehen sind, die Sportschuhe und joggen frühmorgens bei 25 Grad um die Khalid-Lagune inmitten der Stadt, etwa so groß wie die Außenalster. Oder daddeln in der Mega Mall, einem riesigen Einkaufskomplex mit fast allen westlichen Marken, an Spielautomaten.
Ausländer müssen in dem konservativen Emirat, in dem teils die strengen Gesetze der Scharia gelten, einige Kleidervorschriften einhalten – Miniröcke, Shorts und ärmellose T-Shirts sind unerwünscht. Eine Abaya müssen Ausländerinnen nur überziehen, wenn sie die Al-Noor-Moschee besuchen. Es ist die einzige der rund 650 Moscheen des Emirats, die für Nichtmuslime zugänglich ist.
High Heels unter der Abaya – ein Land voller Widersprüche
Eines der ehrgeizigsten Projekte des Scheichtums heißt „Heart of Sharjah“. Während in anderen Städten die alten Häuser zugunsten von modernen Hochbauten abgerissen werden, mussten hier Familien ihre Wohnungen räumen, damit in den kommenden 20 Jahren wieder eine traditionelle Altstadt entstehen kann. Gebaut werden soll mit Materialien wie Lehm, Muschelkalk, Palmwedeln. „Wir simulieren ein Dorf wie früher“, sagt Huda Al Ali, die in Sharjah Travel & Tourism studiert hat. „Wir wollen die arabische Lebensart und Kultur retten und Altes bewahren.“ Die Sharjah Art Foundation, die Filmvorführungen, Theater, Ausstellungen und Vorträge organisiert, hat hier ihren Sitz. Ein Museum wird aufgebaut. Und in den Souks Al Arsah, Saqr und Old Souk weht weiter ein Hauch von Orient. Gewürze duften um die Wette, zuckrige Süßigkeiten werden in riesigen Kesseln angerührt. Verkäufer bieten feine Schals, Lederwaren, Gold und Schmuck, Abayas und Dishdashas an. Es darf, ja muss sogar gehandelt werden!
Das moderne Sharjah, geprägt von Hochhäusern, mindestens vierspurigen Straßen mit dichtem Verkehr und abenteuerlichen Kreuzungen, ist am besten von dem Riesenrad „Eye of the Emirates“ im Viertel Al Qasba zu sehen. Kanäle und Brücken prägen dieses „Venedig Arabiens“, auf den Boulevards flanieren Familien und Freunde, in den Cafés und Restaurants entspannt man sich in Loungemöbeln. Hier geht das junge Sharjah aus. Doch auch hier, wie im gesamten Emirat, werden keine alkoholischen Cocktails serviert, begleitet kein Wein ein köstliches arabisches Essen. Im gesamten Emirat herrscht seit Ende der 80er Jahre Alkoholverbot, auch für Nicht-Muslime. Zwei Legenden ranken sich um dieses Gesetz: Saudi-Arabien wollte nur unter dieser Bedingung den Aufbau und die Modernisierung Sharjahs mitfinanzieren. Und: Ein Sohn des Scheichs kam bei einem Autounfall ums Leben – volltrunken.
Es ist ein Land voller Widersprüche: Im Kino wird „Spectre – James Bond 007“ mit arabischen Untertiteln gezeigt, unter der Abaya blitzen hautenge Jeans und beinbrechend hohe High Heels hervor. McDonald’s, Starbucks und Co. haben auch hier ihre Filialen. Dass es am Sharjah-Flughafen einen Duty-free-Shop gibt, in dem auch Alkohol verkauft wird, wundert da überhaupt nicht mehr. Doch wer will schon gerne heimlich, still und leise im Hotelzimmer sein Glas leeren? Mancher Direktor drückt hier schon mal ein Auge zu. Hetty, unsere Fremdenführerin, die seit mehr als 15 Jahren in den VAE lebt, rät zu einer Strategie: „Nutzen Sie einen Urlaub in Sharjah einfach zum Detoxen, als Entgiftungstage. Und trinken Sie Kaffee, bis die Tasse wackelt.“