Oberstdorf. Die Steinbock-Tour entlang des Allgäuer Hauptkamms ist der vielleicht spektakulärste Höhenweg Deutschlands. Am Wegesrand grüßt ein gehörnter Einheimischer.

Die Pose sitzt: den Kopf stolz erhoben, aufrechte Haltung, die Hörner leuchten im Abendlicht. Ein Bild von einem Bock, vor den samtgrünen Grasflanken der Allgäuer Alpen.

Und was machen die Wanderer, die gerade vorbeikommen? Zücken nicht mal mehr ihr Handy, um ihn zu fotografieren. Sie schauen nur kurz rüber und marschieren weiter, hinab zur Hütte am See.

Der Bock und die Königsetappe

Der Bock und die Königsetappe

Unwegsames Gelände: Bei der Kraxelei aufs Mädelejoch belohnen immer wieder fantastische Ausblicke für die Mühen des Aufstiegs.
Unwegsames Gelände: Bei der Kraxelei aufs Mädelejoch belohnen immer wieder fantastische Ausblicke für die Mühen des Aufstiegs. © dpa | Florian Sanktjohanser
Unwegsames Gelände: Bei der Kraxelei aufs Mädelejoch belohnen immer wieder fantastische Ausblicke für die Mühen des Aufstiegs.
Unwegsames Gelände: Bei der Kraxelei aufs Mädelejoch belohnen immer wieder fantastische Ausblicke für die Mühen des Aufstiegs. © dpa | Florian Sanktjohanser
Stolze Pose vor den Augen der Wanderer: Allgäuer Steinböcke sind alles andere als scheu.
Stolze Pose vor den Augen der Wanderer: Allgäuer Steinböcke sind alles andere als scheu. © dpa | Florian Sanktjohanser
Über einen Bach im Talkessel geht es zur Kemptner Hütte.
Über einen Bach im Talkessel geht es zur Kemptner Hütte. © dpa | Florian Sanktjohanser
Bergidylle: Über dem Haldenwanger Bach grasen Kühe auf einer Weide.
Bergidylle: Über dem Haldenwanger Bach grasen Kühe auf einer Weide. © dpa | Florian Sanktjohanser
Bewohner der Berge: Murmeltiere sieht man auf der Steinbock-Tour in den Allgäuer Alpen jeden Tag.
Bewohner der Berge: Murmeltiere sieht man auf der Steinbock-Tour in den Allgäuer Alpen jeden Tag. © dpa | Florian Sanktjohanser
Über Eis: Der Schwarzmilzferner ist der letzte Allgäuer Gletscher.
Über Eis: Der Schwarzmilzferner ist der letzte Allgäuer Gletscher. © dpa | Florian Sanktjohanser
Manchmal geht es nur mit technischer Hilfe: Eine Leiter führt zum Großen Steinschartenkopf, dem mit 2615 Meter höchsten Punkt der Steinbock-Tour.
Manchmal geht es nur mit technischer Hilfe: Eine Leiter führt zum Großen Steinschartenkopf, dem mit 2615 Meter höchsten Punkt der Steinbock-Tour. © dpa | Florian Sanktjohanser
Aufstieg durch den Sperrbachtobel - die Schlucht ist eng und wild.
Aufstieg durch den Sperrbachtobel - die Schlucht ist eng und wild. © dpa | Florian Sanktjohanser
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"Wir haben hier eine Steinbock-Garantie", versprach Thomas Dempfle, der Chef der Alpinschule Oase , vor der Tour. "Wenn die Gäste keine Böcke sehen, bekommen sie ihr Geld zurück. Aber zahlen mussten wir noch nie." Es klang wie Prahlerei, Werbegewäsch für einen Höhenweg, dem die Bergschulen in Oberstdorf den Namen Steinbock-Tour gaben.

Gut 38 Kilometer weit führt der Weg entlang des Allgäuer Hauptkamms, 2800 Höhenmeter rauf und wieder runter, durch Schluchten und Bergwald, über Wiesenkämme und Felsgrate, von Hütte zu Hütte. Eine anspruchsvolle Tour - und hochalpin. Der Experte bei der Alpinschule rät, die Route umzudrehen. Denn das gute Wetter in den folgenden zwei Tagen brauche man für den Heilbronner Weg, die Königsetappe.

Ein sanfter Aufstieg Richtung Mädeljoch

Statt die Seilbahn zum Fellhorn oder zur Kanzelwand zu nehmen und zur Fiderepasshütte zu laufen, geht es somit in Spielmannsau los. Um sich langsam warmzulaufen, ist der Zustieg perfekt. Sanft steigt der Weg an durch eine wilde Schlucht. Bald weitet sich das Tal. Auf dem Logenplatz einer Kuppe sitzt die Kemptner Hütte.

Für den vielgepriesenen Rinderbraten ist es noch zu früh. Also marschiert die Gruppe weiter, hinauf zum Mädelejoch. Hier zweigt der E5 ab, es wird ruhiger. Durch Gras und Geröll führt der Weg unterhalb der Felsgrate des Kratzers entlang, manchmal ausgesetzt.

Weit oben die ersten Steinböcke

Und dann stehen da plötzlich die ersten Steinböcke. Ein halbes Dutzend stakst zwischen Felsen umher. Die Tiere sind vielleicht 20 Meter entfernt, aber die Wanderer scheinen sie nicht zu stören.

Kein Wunder, dass die Menschen diese furchtlosen, majestätischen Tiere seit der Steinzeit verehrt haben. Sie malten sie an die Wände ihrer Höhlen und trugen ihr Fell. Später zerstieß man die Hörner zu Pulver, das Herzkreuzlein - die verknöcherte Sehne des Herzmuskels - trug man als Amulett. Es sollte sogar die Macht haben, Tote ins Leben zurückzuholen. Der Aberglaube war das Schicksal des Steinbocks, Jäger rotteten ihn fast überall in den Alpen aus, auch im Allgäu. Erst in den 1960er Jahren wurden hier wieder ein paar Böcke aus der Schweiz ausgewildert. Sie vermehrten sich unter Naturschutz prächtig. 2016 wurden allein im Oberallgäu 441 Steinböcke gezählt.

Über den letzten Ferner der Allgäuer Alpen zur Hütte

Der Weg bis zum Waltenbergerhaus zieht sich. Die Gruppe quert den Schwarzmilzferner, den kläglichen Rest des letzten Allgäuer Gletschers, steigt hinauf zur Bockkarscharte und über einen steilen Schotterhang in endlosen Serpentinen hinab zur Hütte.

Die hellen Schindeln leuchten schon von weitem durch den Nebel. Das Waltenbergerhaus ist brandneu, der halbrunde Holzbau mit Pultdach wurde im Juni 2017 eröffnet. Die Zimmer und Bäder sind hell und großzügig, der Speisesaal hat große Panoramafenster.

Von den Vorstellungen mancher Wanderer und der Realität

Das wecke bei einigen Gästen falsche Erwartungen, sagt Hüttenwirt Markus Karlinger, 55, breites Lächeln, grauer Stoppelbart. "Manche wollen Cappuccino. Aber die Maschine würde zu viel Strom fressen."

Früher war Karlinger Wirt im Lechtal. Als vor acht Jahren das Waltenbergerhaus frei wurde, griff er zu. Und war schockiert. "Die Hütte war in einem desolaten Zustand, sie wurde lange nicht instand gehalten." Die Behörden bemängelten den Brandschutz und das Lebensmittellager im Keller. Am Ende entschied die zuständige Sektion des Alpenvereins, die alte Hütte abzureißen und eine neue zu bauen.

Von der Hütte auf zum Steinschartenkopf

Als einzige Hütte in den Allgäuer Alpen wird das Waltenbergerhaus mit dem Helikopter versorgt. Die meisten Gäste kommen für den Heilbronner Weg, eine Paradetour und die Etappe des nächsten Tages.

Die Morgensonne vergoldet bereits die Bergspitzen, als es den Geröllhang vom Vorabend wieder hinauf geht. Perfektes Bergwetter ist angesagt. Grandiose Panoramen begleiten den ganzen Tag. Der Heilbronner Weg führt über Felsgrate, die auf beiden Seiten Hunderte Meter abfallen, auf den Gipfel des Bockkarkopfs und über eine Sprossenbrücke zum 2615 Meter hohen Steinschartenkopf.

Eine Bilderbuch-Tour endet mit Weizen am Rappensee

Stahltreppchen, Leitern und Seile entschärfen steile und ausgesetzte Passagen, Klettersteig-Ausrüstung braucht man nicht. Entsprechend beliebt ist der Weg. Das Grüßen nimmt kein Ende.

Auch deshalb wird es später Nachmittag, bis sich die Wanderer durch den Felsspalt des Heilbronner Thörles zwängen und über Wiesenhügel absteigen. Das Hohe Licht, der zweiten Zusatzgipfel, wird ausgespart. Stattdessen warten Fotos bei der nächsten Steinbock-Bande.

Kaltes Weißbier, See- und Bergblick

Vor der Kulisse des glitzernden Rappensees spaziert man schließlich hinab zur gleichnamigen Hütte. Kaltes Weißbier, See- und Bergblick auf der Terrasse - besser wird es nicht. (dpa)