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So wie viele andere Betroffene wollte es auch die Ärztin Dr. Ulla Schultens-Kaltheuner anfangs nicht wahrhaben. Doch ihre Gehör verschlechterte sich immer weiter. Die Diagnose beim Facharzt: Schwerhörigkeit. Wie sie damit umgeht und heute lebt, berichtet sie im Interview mit DerWesten.
In Deutschland sind 13 Millionen Menschen schwerhörig. Die Diagnose ist für die meisten ein Schock. So erging es auch der Ärztin Dr. Ulla Schultens-Kaltheuner, deren Hörleistung sich im Alter von 30 Jahren immer weiter verschlechterte. Doch sie lernte mit der Einschränkung umzugehen und gibt jetzt in ihrem Buch „Ich bin schwerhörig – und das ist auch gut so!“ anderen Schwerhörigen Hoffnung. Im Interview mit DerWesten sprach sie über ihre Erfahrungen.
Wie begann Ihre Verschlechterung der Hörleistung?
Dr. Ulla Schultens-Kaltheuner: Es war ein schleichender Prozess, den ich sehr verwirrend fand: In manchen Gesprächssituationen habe ich alles bestens verstanden. Und schon ein paar Stunden später mit einer anderen Geräuschkulisse im Hintergrund bekam ich nur wenig mit. Deshalb war es schwierig festzustellen, dass mein Hörvermögen bleibend und bedeutsam nachgelassen hat. Wie viele andere Betroffene habe ich mit verschiedenen Tricks versucht, meine Einschränkung zu überspielen.
Welche Tricks waren das?
Kaltheuner: Wenn ich das Thema und die am Gespräch beteiligten Personen kannte, habe ich leicht erraten können, um was es ging. Am besten war es, wenn mein Mann oder eine Freundin die Geschichten erzählten, die wir gemeinsam erlebt hatten. Neben dem Versuch, fehlende Information im Kopf zu ergänzen, erfand ich im Laufe der Zeit immer mehr Ausreden, warum ich etwas – ausnahmsweise mal wieder – nicht verstanden hatte.
Warum versuchen viele Schwerhörige, so wenig wie möglich aufzufallen?
Kaltheuner: Als mir bewusst wurde, dass mein Hörvermögen tatsächlich unzureichend war, schämte ich mich für diese Unzulänglichkeit. Ich hatte Angst, für dumm gehalten zu werden – wobei mir gleichzeitig klar war, dass ich ja nur das ein oder andere Wort nicht richtig verstanden hatte. Die Wahrheit zu verdrängen schien mir jedoch erträglicher, als sich ihr zu stellen. So ergeht es auch vielen anderen Menschen mit nachlassendem Hörvermögen, wie ich mittlerweile in viele Gesprächen mit Betroffenen erfahren habe.
Wie geht Ihre Familie damit um?
Kaltheuner: Für meine Familie und für mich ist das Ganze ein Lernprozess, der bis heute anhält. Denn zum Miteinanderreden gehört ja auch immer die gegenseitige Rücksichtnahme. Ich habe meine Angehörigen und Freunde gebeten, deutlich und klar zu sprechen, die Hand nicht vor den Mund zu nehmen, mich beim Reden anzuschauen und nicht quer durch den Raum zu rufen, während sie noch in eine andere Richtung schauen. Das klappt meist ganz gut, aber hin und wieder fallen wir eben doch in unsere alten Gewohnheiten zurück.
Warum kommt es trotzdem zu Missverständnissen?
Kaltheuner: Manchmal hängen sie mit meiner Schwerhörigkeit zusammen. Aber oftmals kommen sie auch dadurch zustande, dass wir unsere Botschaften nicht immer eindeutig in Worte fassen können. Hören, was jemand sagt und gleichzeitig verstehen, was er sagen will – das bleibt für uns alle eine ständige Herausforderung.
Welchen Blickwinkel haben Sie als Medizinerin?
Kaltheuner: Bislang gibt es leider nur wenig Literatur zur Schwerhörigkeit aus der Sicht von Betroffenen. Mir ist es wichtig, das Thema Schwerhörigkeit endlich aus der Tabu- und Scham-Ecke herauszuziehen. Ich möchte all die Menschen, die ahnen oder auch wissen, dass ihr Hörvermögen eingeschränkt ist, ermutigen, sich dem Problem zu stellen und aktiv nach Lösungen zu suchen. Deshalb schildere ich in meinem Buch meine eigene Geschichte. Hinzu kommen medizinische Hintergrundinformationen, die ich allgemein verständlich erkläre.