Moskau.. Die Angst vor den Ehec-Bakterien hat auch Russland erreicht. Jetzt riefen die Offiziellen in Moskau ein Einfuhrverbot für Gemüse aus EU-Ländern aus und machen damit gleichzeitig Propaganda gegen den Westen.
Im Ganzen bewerte er das Treffen positiv. Gennadi Onischtschenko, Chef der russischen Verbraucherschutzbehörde, gab sich gestern nach einem Treffen mit Gesundheitsexperten der Europäischen Kommission leicht besänftigt: Die EU habe sich bereit erklärt, Russlands Medizinern den Virusstamm der Ehec-Darminfenktion zu übergeben.
Aber noch seien die Bedingungen nicht erfüllt, damit Russland sein Einfuhrverbot für EU-Gemüse aufhebe. „Jetzt ist auch noch in Luxemburg ein Ansteckungsfall bekannt geworden“, tadelte Onischtschenko. „Das wirft nur noch mehr Fragen auf!“
Glaubt man Onischtschenko und anderen Moskauer Offiziellen, so führt Russland gerade eine siegreiche Abwehrschlacht gegen erbitterte europäische Versuche, Ehec-verdächtiges Rohgemüse auf dem russischen Markt loszuwerden. Am vergangenen Donnerstag rief Onischtschenko sein Gemüseboykott aus. Den – wenig klugen – Einwand des EU-Repräsentanten in Moskau, Fernando Valencuela, diese Entscheidung widerspreche den Regeln der Welthandelsorganisation WTO, konterte Premier Wladimir Putin persönlich: Er wisse nicht, welchen Regeln und welchem Geist das Verbot widerspreche. „Aber wir werden unsere Leute nicht um irgendeines Geistes willen vergiften.“
Preise für Gurken und Tomaten steigen
Schon sind die Preise für Gurken und Tomaten in Moskau laut der Zeitung „Moskowskij Komsomolez“ um umgerechnet 12 Cent angestiegen. Und schon spekuliert Russlands Presse, ob die EU nun mit Wirtschaftssanktionen kontern wird. „Der Ehec-Stamm bedroht nicht nur die Gesundheit der Russen, sondern auch die Perspektiven Russlands zum WTO-Beitritt“, unkt die Tageszeitung Moskowskie Nowosti.
Moskau halbstaatliche Öffentlichkeit ignoriert jedoch, dass die EU jetzt ganz andere Sorgen plagen. Die Folgen der Epidemie für Europas Gemüsehändler auf dem Binnenmarkt sind viel katastrophaler, als die etwa 12 Millionen Euro, die die EU-Exporteure nach Angaben der Zeitung Wedomosti durch den russischen Einfuhrstopp bisher verloren haben.
Alte Komplexe gegen Gefahren aus dem Westen
Russland, auch das inoffizielle Russland, hegt alte Komplexe gegen Gefahren aus dem Westen. „Sie versuchen, uns alle wie Ratten zu vergiften“, klagt die Moskauer Köchin Nina Mironowna, 49. „Ein Wunder, dass wir noch leben.“ Mit „sie“ meint Nina eine geheime Weltregierung jüdischer Freimaurer, die die Menschheit bis auf eine „goldene Milliarde“ reicher Juden, US-Amerikaner und Europäer vernichten wolle.
Russlands Chefveterinär Onischtschenko aber verteidigt im Stil sowjetischer Propagandisten außer seinen Russen auch die Gesundheit der EU-Bürger: Die Antibiotika, mit der die deutschen Ärzte versuchten, ihre Ehec-Patienten zu heilen, seien viel zu schwach, die europäischen Regeln zur Kontrolle der Lebensmittelsicherheit miserabel: „Sie dienen dem Profit der Wirtschaft, aber nicht dem Schutz der menschlichen Gesundheit.“ Außerdem bezweifle er, dass eine Epidemie, die in 13 Ländern wüte, auf einer einzigen niedersächsischen Sojasprossenfarm ausgebrochen sei.
Putin will Entschlossenheit demonstrieren
Auch der staatliche Kanal TV Rossija tut so, als verkaufe die deutsche Regierung den Sojasprossenverdacht bereits als gesichertes Ergebnis: „Bleibt unklar, ob die kategorischen Versicherungen der Behörden reale Fakten widerspiegeln oder nur den völlig verständlichen Wunsch, nach dreiwöchiger Bakterienjagd die Öffentlichkeit endlich zu beruhigen.“
Allerdings erwarten die meisten Beobachter in Moskau, dass Onischtschenko sein Einfuhrverbot bald aufheben wird. „Mir scheint, er lärmt vor allem für das heimische Publikum. Und auf Weisung von oben“, sagt der Politologe Alexej Muchin. „Bei uns herrscht Vorwahlkampf.“ Jetzt wolle auch Wladimir Putin demonstrieren, wie rasch und entschlossen seine Regierung auf äußere Bedrohungen reagiere.
Nebenher lenkt das Getöse um die EU-Gurken von Russlands alltäglichen sanitären Problemen ab. So landeten in den vergangenen Tagen elf Kindern aus einem Waisenhaus bei Kirow mit schweren Darmentzündungen im Krankenhaus. Und Ende Mai starb in Moskau ein Rekrut der Kremlgarde an einer rätselhaften Infektion. Die Krankheitserreger sind in beiden Fällen noch unbekannt.