Heidelberg/New York. Forscher fanden an den Zähnen von Neandertalern Überreste von Heilpflanzen. Da diese weder besonders nahrhaft sind oder gut schmecken, gehen Wissenschaftler davon aus, dass sie sie gezielt gegen Krankheiten einsetzten.

Die Neandertaler kannten und nutzten bereits die Heilkraft der Natur: Sie verzehrten bittere Heilpflanzen, um Krankheiten zu kurieren oder ihnen vorzubeugen. Das hat ein internationales Forscherteam herausgefunden, als es 50.000 Jahre alte Nahrungsreste an den Zähnen von fünf Neandertalern untersuchte.

Eingelagert im Zahnstein fanden sich Bestandteile von Stärkekörnern und anderen Pflanzenmaterialien, aber auch Arzneistoffe aus Heilpflanzen wie Schafgarbe und Kamille. Das sei überraschend, denn diese Pflanzen seien nicht sonderlich nahrhaft und schmeckten zudem noch bitter. Die Neandertaler hätten sie daher vermutlich deshalb gegessen, weil sie die heilende Wirkung solcher Medizinpflanzen bereits kannten, berichten die Forscher im Fachmagazin "Naturwissenschaften".

Zahnstein konservierte Pflanzenreste und organische Moleküle

Die Neandertaler ernährten sich offensichtlich weitaus vielseitiger und komplexer als bisher angenommen", sagt Erstautorin Karen Hardy von der Autonomen Universität Barcelona in Spanien. Fleisch sei für diese Frühmenschen zwar eindeutig wichtig gewesen, aber die Funde aus El Sidrón deuteten darauf hin, dass die Neandertaler auch die Eigenschaften der in ihrer Umgebung wachsenden Pflanzen bereits gut kannten. Nach Ansicht der Forscher wählten sie Pflanzen bereits gezielt nach ihrem Nährwert oder aber zu medizinischen Zwecken aus.

Für ihre Studie hatten die Forscher zehn Zahnsteinproben von fünf Neandertalern analysiert. Die etwa 47.000 bis 50.600 Jahre alten Relikte waren in der El Sidrón-Höhle im Norden Spaniens gefunden worden. Mit Hilfe spezieller Analysemethoden konnten die Wissenschaftler einzelne organische Moleküle und mikroskopisch kleine Pflanzenreste identifizieren, die zu Lebzeiten der Neandertaler in deren Zahnstein eingelagert worden waren.

In allen Zahnsteinproben fanden die Wissenschaftler verschiedene Stärke-Körnchen, die durch Feuer und Hitze geröstet und aufgebrochen worden waren. Auch Reste von Nüssen, Gräsern und Gemüse habe man nachgewiesen, berichten Hardy und ihre Kollegen. Kaum vertreten seien dagegen Proteine und eindeutig von Fleisch stammende Substanzen. Das deute darauf hin, dass die Neandertaler in dieser Region und zu dieser Zeit eher wenig Fleisch und dafür eine relativ vielseitige Pflanzennahrung zu sich nahmen.

Bittere Heilpflanzen als Medizin

Bei einem der Neandertaler stießen die Forscher auf mehrere Azulene und die Cumarinverbindung 4-methylherniarin - Pflanzeninhaltsstoffe, die unter anderem in bitter schmeckenden Heilpflanzen wie Schafgarbe und Kamille vorkommen. "Dass dieses Individuum bitter schmeckende und wenig nahrhafte Pflanzen wie Schafgarbe und Kamille aß, ist ziemlich überraschend", sagt Koautor Stephen Buckley von der University of York.

Der Neandertaler habe diese Pflanzen sicher nicht wegen ihres guten Geschmacks gegessen, sondern vermutlich eher wegen ihrer medizinischen Wirkung. So wirkt das in der Kamille enthaltene Azulen beispielsweise entzündungshemmend. "Die Funde aus der El Sidrón-Höhle haben dazu beigetragen, viele Vorurteile und falschen Vorstellungen über die Neandertaler zu beseitigen", sagt Studienleiter Antonio Rosas vom Naturhistorischen Museum in Madrid. Man wisse heute, dass diese Frühmenschen ihre Körper schmückten, sich um ihre Kranken kümmerten und ihre Toten begruben. Jetzt habe man auch über ihre Ernährung und ihr Heilpflanzenwissen mehr dazugelernt. (dapd)